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Selen bei Hashimoto?

Nutzen für Schilddrüse nicht nachgewiesen

Die Einnahme von des Spurenelements Selen soll sich bei der Hashimoto-Krankheit günstig auf die Funktion der Schilddrüse auswirken. Belegt ist das jedoch nicht. Auch gibt es möglicherweise Risiken.

Eine beliebte Zielgruppe für die Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln: Menschen mit chronischen Erkrankungen. Denn diese müssen lebenslang mit ihrer Krankheit zurechtkommen. Verständlich, dass sie daher oft daran interessiert sind, alles zu unternehmen, was ihre Situation verbessern könnte. Wer mit der Hashimoto-Krankheit der Schilddrüse (Hashimoto-Thyreoiditis) leben muss, fühlt sich vielleicht durch die Werbung für Selen angesprochen.

Woher die Idee kommt

Warum sollte zusätzliches Selen die Erkrankung günstig beeinflussen können? Die Basis dieser Überlegung: Selen ist Bestandteil einiger Enzyme, die an der Produktion der Schilddrüsenhormone beteiligt sind. Fehlt Selen, können diese Enzyme nicht richtig arbeiten. Allerdings gibt es keine vertrauenswürdigen Hinweise darauf, dass die Hashimoto-Krankheit durch Selen-Mangel verursacht wird oder alle Menschen mit Hashimoto einen Selen-Mangel haben.

Außerdem ist Selen auch Bestandteil von Enzymen, die den Körper vor sogenannten oxidativen Prozessen schützen. Deshalb wird Selen auch eine schützende Wirkung bei entzündlichen Vorgängen zugeschrieben. Allerdings lässt sich daraus nicht ableiten, dass Menschen mit Hashimoto immer von der Selen-Einnahme profitieren. Das muss erst in aussagekräftigen Studien untersucht werden.

Wie gut der Nutzen von Selen bei Hashimoto tatsächlich belegt ist, hat sich das arznei-telegramm®, eine unserer Mutterzeitschriften, genauer angesehen.2 Dabei wurden Studien berücksichtigt, bei denen Menschen mit Hashimoto-Erkrankung nach dem Zufallsprinzip, also randomisiert, entweder ein Selen-Präparat oder ein Scheinmedikament (Placebo) erhielten.

Ernüchternde Studienergebnisse

Bislang ist ein Nutzen von zusätzlicher Selen-Einnahme bei Menschen mit Hashimoto-Erkrankung nicht belegt. Die meisten Studien zu dieser Frage waren ziemlich schlecht gemacht und umfassten jeweils nur wenige Teilnehmende, sodass die Aussagekraft äußerst dürftig ist.

Hinzu kommt: In den bisherigen Studien wurden meist nur Blutwerte gemessen, in der Regel also die Höhe der Antikörper. Mit Selen gingen die Antikörper in den meisten Studien zwar stärker zurück als mit Placebo, blieben aber immer noch auf einem hohen Niveau. Daraus lassen sich aber nicht verlässliche Schlussfolgerungen ziehen. Also, ob es den Betroffenen durch Selen wirklich besser geht oder sie etwa weniger Schilddrüsenhormone in Tablettenform benötigen. Der Messwert dieser Antikörper steuert auch nicht die eventuell notwendig werdende Verordnung von L-Thyroxin.

Derzeit testet eine größere Studie in Dänemark, ob sich bei Hashimoto durch die Einnahme von Selen tatsächlich die Lebensqualität verbessert. Die Ergebnisse werden aber nicht vor Ende 2021 erwartet.

Möglicherweise riskant

Der Nutzen von Selen bei Hashimoto ist also bislang nicht belegt. Wie sieht es aber mit möglichen Risiken durch die zusätzliche Einnahme dieses Spurenelements aus? In den meisten Studien bekamen die Teilnehmenden täglich 200 Mikrogramm Selen. Diese Menge stuft die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit grundsätzlich als langfristig verträglich ein. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass Menschen, die eine solche Menge Selen einnehmen, möglicherweise häufiger an Typ-2-Diabetes oder bestimmten Krebsarten erkranken. Endgültig gesichert ist das aber auch noch nicht.

© Alasdair.James/ iStockphoto.com

Selen in Lebensmitteln

Zum Vergleich: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für die tägliche Zufuhr von Selen mit Lebensmitteln 60 Mikrogramm für Frauen und 70 Mikrogramm für Männer. Bekannt ist, dass bei dauerhaft überhöhter Zufuhr (über 300 Mikrogramm pro Tag) gesundheitliche Probleme auftreten können. Bei der sogenannten Selenose kann die Funktion des Nervensystems gestört sein, auch Müdigkeit, Gelenkschmerzen, Übelkeit und Durchfall können auftreten.

In Europa haben tierische Produkte wie Fleisch, Fisch und Eier einen relativ konstanten Selen-Gehalt, bei pflanzlichen Lebensmitteln kann er stark schwanken. Für Vegetarier und Veganer sind zum Beispiel Paranüsse, Pilze und Linsen gute Selen-Quellen.3

Fazit

Auch wenn Selen bei der körpereigenen Produktion von Schilddrüsenhormonen eine Rolle spielt, ist der tatsächliche Nutzen einer zusätzlichen Einnahme bei Hashimoto bislang nicht durch Studien belegt. Ob Selen – langfristig eingenommen – unbedenklich ist, ist nicht abschließend geklärt. Damit spricht unserer Einschätzung nach wenig für die Einnahme, sofern kein Mangel nachgewiesen ist.

Randomisierte Studien
GPSP 2/2019, S. 24

L-Thyroxin
GPSP 6/2015, S. 10

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2021 / S.16