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Wenn Influencer für Arzneimittel werben
Wer heute verkaufen will, setzt auf Influencer-Marketing. Auch im Gesundheitswesen arbeiten immer mehr Firmen mit Instagram-Stars zusammen. Um das Heilmittelwerbegesetz zu umgehen, werden sie kreativ.
Ein Bild in Pastelltönen auf der Plattform Instagram: Die Influencerin Jana Heinisch bereitet das Essen vor, während sich ihr Freund an sie schmiegt. Neben dem Paar steht eine kleine Flasche des Magen-Darm-Arzneimittels Iberogast®. Heinisch wurde 2014 als Kandidatin der Castingshow „Germany‘s Next Topmodel“ bekannt. Heute begleiten über 220.000 Follower ihren Alltag auf Instagram.
Im Text zum Foto erklärt sie: Zum ersten Mal sei sie in Kontakt mit dem Produkt gekommen, als sie mit Bauchschmerzen bei ihrem Freund saß. Damals habe zufällig jemand aus ihrer Instagram-Community im selben Haus gewohnt und die Tropfen vorbeigebracht. Zum Dank initiiert sie nun ein „Mega-Gewinnspiel“, finanziert vom Hersteller Bayer. Wenn man genau hinschaut, sieht man es: Das Bild der Influencerin trägt den Hinweis „Werbung“.
Influencer:innen wie Jana Heinisch verdienen ihren Lebensunterhalt, indem sie Reichweite auf sozialen Medien an Werbetreibende verkaufen. Firmen zahlen dafür, dass Influencer:innen ihre Produkte in Posts einbauen und so ihren Fans präsentieren. Laut einer Umfrage des „Influencer Marketing Hub“ verdienten US-amerikanische Unternehmen 5,78 US-Dollar mit jedem Dollar, den sie in Influencer-Marketing stecken. „Statista“ schätzte das Marktvolumen für Influencer-Marketing in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Jahr 2020 auf knapp eine Milliarde Euro. Bis 2024 soll die Branche in Deutschland jährlich um 23 Prozent wachsen.
„Mit den Influencern ändert sich nicht nur der Konsum von Waren, sondern auch der von Werbung fundamental: Plötzlich wird sie freiwillig, bewusst, ja, gern geschaut.“ Was Werbung ist und was nicht, wird nicht bloß (trotz Kennzeichnungspflicht) schwieriger zu durchschauen, es ist auch immer mehr Menschen schlichtweg egal, so beschreiben es die Kulturkritiker Wolfgang M. Schmitt und Ole Nymoen in ihrem Buch „Influencer: Die Ideologie der Werbekörper“.
Auch im Gesundheitswesen arbeiten immer mehr Firmen mit Influencern zusammen. Bayer, Novartis, Sanofi, Merck – fast jeder große Arzneimittelhersteller stieß bereits solche Marketing-Kooperationen an. Zudem setzen Krankenkassen wie die AOK mehr und mehr auf Blogger:innen. Selbst das Bundesministerium für Gesundheit investierte 2020 immerhin 17.000 Euro in Influencer.
Arzneimittelhersteller müssen auch bei der Werbung mit Influencern das Heilmittelwerbegesetz (HWG) beachten. Das Gesetz soll generell verhindern, dass Verbraucher:innen unsachgemäß beeinflusst werden.
Nach §11 HWG dürfen etwa bei der Werbung für rezeptfreie Arzneimittel keine Experten oder Krankengeschichten vorgeschoben werden, die den Verbrauch anregen könnten. Auch Prominente dürfen Arzneimittel nicht unmittelbar empfehlen. 2015 hatte aus diesem Grund das Oberlandesgericht Karlsruhe eine Werbung der Schauspielerin Ursula Karven für Schüßler-Salze für unzulässig erklärt.1
Wann ist ein Influencer „berühmt“?
Unter dieses Verbot können auch Influencer mit einer großen Reichweite fallen”, erklärt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf Anfrage. Aber was bedeutet „große Reichweite“ – etwa bei Jana Heinisch mit ihren 220.000-Instagram-Nutzern?
Heinisch gehört per Definition zu den „Makro-Influencern”, bei weniger als 10.000 Followern spricht man von Mikro- oder Nano-Influencern. Oft bedienen diese spezielle Interessen ihrer Community und sind dafür umso wertvoller, wenn Firmen ausgewählte Zielgruppen adressieren können: Von Reisebloggern wie Bolle und Marco, Kräuter-Influencern wie Kräuterkeller oder selbst „Petfluencer“ wie die Dogge Ella (beziehungsweise deren Besitzer:innen) – es gibt kaum ein Thema, auf das sich nicht bereits ein Instagram-Nutzer spezialisiert hat.
„Was als prominent gilt, wird in der juristischen Fachwelt rege diskutiert”, sagt Fachanwalt für Medienrecht Matthias Rudolph. „Früher oder später wird es sicherlich zu einem Urteil kommen.“
Influencer: Disease-Awareness mit Promis, Ärzten und Patienten
Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel vor einem Laienpublikum ist nach dem HWG verboten. Es gilt aber nur, wenn sich die Werbung auf ein konkretes Produkt bezieht. Pharmaunternehmen konzentrieren sich in Kampagnen daher auf „Disease-Awareness“. Darin lassen Arzneimittelhersteller kooperierende Influencer unter anderem kommunizieren, wie man Zugang zu Therapien bekommt. Im Rahmen einer Kampagne zu Depressionen arbeitete RTL-Moderatorin Eva Imhof mit dem Hersteller Janssen-Cilag zusammen, der mehrere Psychopharmaka im Angebot hat.
Die auf Instagram bekannte Kinderärztin Snježana-Maria Schütt kooperierte mit Wachstumshormon-Hersteller Novo Nordisc, um zu erklären, was man unter gesundem Wachstum im Kindesalter versteht.
Die Bloggerinnen kennzeichneten die bezahlte Kooperation mit dem Hinweis „Anzeige“. In der Beschreibung zum Post ergänzten sie den Text der Hersteller zur Erkrankung und verwiesen auf Webseiten, die die Pharmafirmen für ihre Kampagne erstellt hatten. Auch wenn die Firmen rezeptpflichtige Arzneimittel für genau diese Erkrankungen herstellen – ihre konkreten Produkte nannten sie nicht. Weil sie kein Arzneimittel explizit empfehlen, ist die Werbung zulässig.
In einem anderen Fall warb eine an Schuppenflechte erkrankte Influencerin für ein Patientenmagazin des Pharmaunternehmens Abbvie, das Arzneimittel für diese Erkrankung herstellt.
Möglicherweise könnten Gerichte in Zukunft darüber diskutieren, ob eine vergleichbare bezahlte Werbekooperation den Arzneimittelverbrauch angeregt hat. Medienanwalt Matthias Rudolph stellt fest, dass in der Rechtsprechung Influencer-Marketing im Heilmittelwesen bisher keine große Relevanz erlangt hat. „Bis heute findet man in juristischen Datenbanken kein Urteil, dass sich um Influencer und das Heilmittelwerbegesetz dreht.” Die Entwicklung muss hier abgewartet werden.
Agentur vermittelt erkrankte Influencer
Samira Mousa erfuhr 2013 von ihrer Diagnose: schubförmige multiple Sklerose. Sie begann, Beiträge zu ihrer Erkrankung auf Instagram zu veröffentlichen. Wenig später folgte die erste Anfrage eines Pharmaunternehmens. Bis heute ging sie über 25 Werbe-Kooperationen ein.
2019 gründete sie eine eigene Agentur. Dort vermittelt sie chronisch erkrankte Mikro- und Nano-Influencer an Unternehmen und hilft ihnen, Preise für die Kooperationen zu verhandeln. Von anfangs 50 Euro pro 1.000 erreichten Instagram-Nutzern sei heute dank ihrer Agentur ein viermal so hohes Honorar üblich, erklärt Mousa.
Ihr Schwerpunkt: Disease-Awareness-Kampagnen. Diese gestalteten sich oft subtil und können aufwendig sein, schreibt Mousa im Fachmagazin „Werben und Verkaufen“.2 Wege zum Ziel seien Videocontent, persönliche Krankheitsberichte, Events und Workshops. „Ich liebe es, an solchen Kampagnen mitzuwirken“, erklärt sie gegenüber GPSP, „wenn ich die Beiträge gestalte, kann ich meine eigene Botschaft als Betroffene verpacken“. Dies würde nicht nur die Wünsche der Patient:innen einbeziehen, sondern auch den erkrankten Influencern ermöglichen, weniger arbeiten zu müssen.
Sie sei dankbar, dass das HWG einen strengen Rahmen vorgibt. Denn das Gesetz gebe ihr vor, was moralisch vertretbar sei. Außerdem würden die Rechtsabteilungen der Firmen penibel darauf achten, dass es zu keinem Verstoß kommt.
Aber wer kontrolliert hier, ob alles rechtens ist?
Disease-Awareness-Kampagnen verbieten
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft kritisiert, dass Pharmaunternehmen Influencer für ihre Reklame einbinden: Werbung für Produkte pharmazeutischer Unternehmer auf sozialen Netzwerken lehne die Fachgesellschaft ab. Denn Risiken und Nutzen würden hier nicht korrekt dargestellt werden. „Wir empfehlen, dass die Werbung für Arzneimittel strenger reguliert wird, zum Beispiel durch ein Verbot von Disease-Awareness-Kampagnen“.
In naher Zukunft scheint es allerdings eher mehr als weniger gesponserte Kampagnen zu geben. Auf zahlreichen Blogs, etwa aus dem Ärzte-Bereich, schreiben Marketing-Experten, warum Pharmaunternehmen mit Influencern zusammenarbeiten sollten. Trotz Heilmittelwerbegesetz sei die PR-Maßnahme effektiv, um den Umsatz von OTC-Arzneimitteln zu steigern und dem Firmennamen einen positiven Anstrich zu verleihen.
Zusätzlich würden Disease-Awareness-Kampagnen dafür sorgen, dass mehr Arzneimittel verkauft werden. 2018 untersuchten Wissenschaftler:innen der Universität Tokio, wie eine Awareness-Kampagne zur Reizblase den Umsatz beeinflusste.3 Drei Monate nach der Kampagne verschrieben Ärzt:innen siebenmal mehr Arzneimittel als vorher.
Eine Vorfassung dieses Artikels erschien in MedWatch.
Stand: 1. Juli 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2022 / S.25