Immer gleich ein Stent?
Keine Vorteile bei stabiler koronarer Herzkrankheit
Wenn die Herzkranzgefäße verengt sind, steigt die Gefahr für einen Herzinfarkt. Bei eher moderaten Beschwerden schützen frühzeitige Eingriffe mit Stent oder Bypass aber wohl nicht besser als eine gute Behandlung mit Medikamenten. Das legt eine aktuelle große Studie nahe.
Bei einer koronaren Herzkrankheit (KHK) sind die Herzkranzgefäße verengt, die den Herzmuskel mit Sauerstoff versorgen. Ursache ist häufig eine Arteriosklerose, bei der sich Ablagerungen in den Blutgefäßen bilden. Dadurch wird die Durchblutung eingeschränkt, und es können sich wegen der unzureichenden Sauerstoffversorgung – je nach Krankheitsstadium – bei Belastung oder sogar in Ruhe Schmerzen und ein Engegefühl in der Brust (Angina-pectoris-Anfall) einstellen. Dieses Krankheitsbild bezeichnet man auch als chronische stabile KHK.
KHK kein Herzinfarkt
Verschließt sich ein Herzkranzgefäß plötzlich oder vollständig, dann entsteht ein Herzinfarkt. Solche im Fachjargon auch als „akutes Koronarsyndrom“ bezeichnete Ereignisse sind für die Betroffenen sehr gefährlich. In den meisten Fällen wird dann das Gefäß möglichst schnell mit Hilfe eines Herzkatheters geöffnet oder geweitet.
Damit das Gefäß offen bleibt, wird oft ein sogenannter Stent eingeführt, ein kleines Röhrchen aus Drahtgeflecht, das als Stütze das Gefäß längerfristig offenhalten soll. Manchmal kann auch ein Bypass notwendig werden. Dabei wird in einer Herzoperation das verschlossene Herzkranzgefäß mit einer „Umleitung“ aus anderen Blutgefäßen überbrückt.1
Auch bei stabiler KHK?
Solche Eingriffe werden aber auch bei einer stabilen KHK mit chronischen Verengungen der Herzkranzgefäße als Behandlungsoption angesehen, mit dem Ziel, einem Herzinfarkt vorzubeugen. Relativ unumstritten sind solche vorbeugenden Eingriffe etwa dann, wenn der Herzmuskel stark unter der Durchblutungsstörung leidet. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn gleich mehrere Herzkranzgefäße oder die für die Versorgung besonders wichtige linke Herzkranzarterie stark verengt sind oder wenn trotz bester Behandlung mit Medikamenten immer noch sehr starke Beschwerden wie Angina pectoris oder Atemnot bei Belastung auftreten.
Unklar war bislang jedoch, ob die Eingriffe auch bei einer nicht ganz so stark ausgeprägten Erkrankung einen schützenden Effekt haben. Ergebnisse einer kleineren Studie2 deuteten allerdings darauf hin, dass bei stabiler KHK ein Stent im Vergleich zu einer sorgfältigen Behandlung mit Medikamenten die Beschwerden nicht verringert.
Frühzeitig oder nur bei Bedarf?
Wie sich ein vorbeugender Eingriff bei stabiler KHK auf den Verlauf der Erkrankung auswirkt, hat nun eine große Studie untersucht, die Anfang April 2020 veröffentlicht wurde.2 Daran nahmen rund 5.000 Patientinnen und Patienten mit stabiler KHK teil, die eine bedeutsame, aber keine schwerwiegende Durchblutungsstörung der Herzmuskulatur hatten und mit Medikamenten gut eingestellt waren. Die meisten von ihnen hatten dennoch häufiger Angina-pectoris-Beschwerden.
Nach dem Zufallsprinzip wurden die Teilnehmenden einer von zwei Gruppen zugewiesen: Die eine Hälfte erhielt zeitnah eine Herzkatheteruntersuchung und daran anschließend entweder Stents oder eine Bypass-Operation, je nach Ausmaß der Gefäßverengung.3 Die zweite Hälfte wurde weiter nur mit Medikamenten behandelt. Ein Eingriff wurde nur dann durchgeführt, wenn es gar nicht mehr anders ging – das war im Verlauf der Studie bei rund jedem Fünften in dieser Gruppe notwendig.
Anschließend wurde dann beobachtet, ob die Teilnehmenden einen Herzinfarkt erlitten, daran starben, wegen der Angina-pectoris-Beschwerden ins Krankenhaus mussten, wegen Herzstillstand wiederbelebt werden mussten oder bei ihnen eine Herzschwäche auftrat.
Kein Lebensretter
Überraschenderweise zeigt sich, dass solche Ereignisse in beiden Gruppen insgesamt ungefähr gleich häufig waren. Die frühzeitigen Eingriffe verhinderten keine Todesfälle. Auch gab es keine deutlichen Unterschiede bei Krankenhaus-Aufenthalten, Herzschwäche oder Wiederbelebungen.
Etwas komplexer ist die Lage bei den Herzinfarkten: So gab es in der frühzeitig mit Herzkatheter behandelten Gruppe am Anfang mehr Herzinfarkte, die vermutlich durch die Manipulationen an den Herzkranzgefäßen verursacht wurden. Im weiteren Verlauf der Studie waren Herzinfarkte in der primär nur mit Medikamenten behandelten Gruppe häufiger. Am Ende der Studie gab es aber keinen Unterschied mehr: ungefähr gleich viele Teilnehmende in beiden Gruppen hatten einen Herzinfarkt bekommen.
Diese Ergebnisse bestätigten sich auch, wenn die Daten gesondert für Teilnehmende mit starken Beschwerden, mit Diabetes oder stärker verengten Herzkranzgefäßen ausgewertet wurden. Bei diesen Gruppen hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am ehesten damit gerechnet, einen Vorteil für Stent oder Bypass zu finden.
Etwas seltener Beschwerden
Außerdem wurden die Teilnehmenden nach Angina-pectoris-Beschwerden und den daraus resultierenden Einschränkungen der Lebensqualität befragt. Dabei fanden sich Hinweise, dass die Eingriffe Symptome möglicherweise geringfügig verbessern, besonders bei Patienten mit häufigen Beschwerden.
Auch nicht bei Nierenkranken
Eine parallele kleinere Studie hat über einen Zeitraum von rund zwei Jahren die gleiche Fragestellung bei Patientinnen und Patienten untersucht, bei denen zusätzlich die Nierenfunktion stark eingeschränkt war.2 Sie haben ein besonders hohes Risiko für ein akutes Koronarsyndrom. Aber auch diese Gruppe profitierte nicht von frühzeitigeren Eingriffen, wenn Todesfälle oder Herzinfarkte betrachtet wurden. Allerdings zeichnete sich auch hier eine geringfügige Verbesserung der Symptome ab.
Fazit
Es spricht also vermutlich nichts dagegen, es in den meisten Fällen erst einmal mit einem gesunden Lebensstil und einer guten Arzneimitteltherapie zu probieren. Dieses Vorgehen kann den Betroffenen auch belastende Eingriffe ersparen.
Stand: 30. August 2020 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2020 / S.04