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©Wilfredor

Sicherheit aufs Spiel gesetzt?

Risiken von neuem Gerinnungshemmer offensichtlich

Ein Vorteil der neuen Blutgerinnungshemmer soll ihre einfachere Anwendung sein (GPSP 6/2013, S. 4). Doch ob Gerinnungstests wirklich entfallen können, muss bezweifelt werden. Das legen die jetzt in einem Gerichtsverfahren in den USA aufgetauchten internen Firmendokumente zumindest für den Wirkstoff Dabigatran nahe.

Zwischen 2008 und 2011 sind drei neue Blutgerinnungshemmer (Antikoagulanzien) in den Handel gekommen: Dabigatran (Pradaxa®), Apixaban (Eliquis®) und Rivaroxaban (Xarelto®). Sie sollen beispielsweise Menschen mit Vorhofflimmern vor einem Schlaganfall schützen können, sofern sie regelmäßig eingenommen werden.

Mögliche Vorteile wie die einfache Anwendung als Tablette, aber auch die besondere Problematik der Präparate haben wir beschrieben: hohe Kosten, fehlende Gegenmittel im Falle von Blutungen und fehlende Tests für die routinemäßige Überwachung der Gerinnung.

Aber gerade die fehlende Kontrollmöglichkeit nutzen die Anbieter als wesentliches Werbeargument. Sie betonen, dass die neuen Mittel überhaupt keine routinemäßigen Blutgerinnungstests erfordern. Damit sollen sie sich von den seit Jahrzehnten bewährten Cumarinabkömmlingen, zu denen Phenprocoumon (Marcumar®, Generika) zählt, vorteilhaft absetzen. Bei diesen muss nämlich die Blutgerinnung als Maß der Wirksamkeit kontrolliert werden. Das bedeutet für Patienten viele Blutabnahmen und für die Arztpraxen zusätzlichen Aufwand.

Wenn Anbieter propagieren, dass gar keine Gerinnungstests nötig sind, kann dies bei Ärzten und Patienten ein falsches Gefühl von Sicherheit erzeugen. Aber: Für jedes Medikament ist ein eigener Labortest notwendig – und solche Routinetests fehlen für die neuen Mittel schlichtweg.

Die Frage muss gestellt werden: Was hat es mit den mehreren tausend lebensbedrohlichen und tödlichen Blutungen auf sich, die inzwischen insbesondere Dabigatran angelastet werden. In den USA laufen derzeit mindestens 2.400 Klagen gegen den Anbieter Boehringer Ingelheim, mit Hauptsitz in Deutschland. Wahrscheinlich sind die neuen Mittel nicht so unproblematisch, wie es die Pharmafirmen Ärzten und Betroffenen gegenüber darstellen. GPSP warnte bereits 2013: „Während der Arzt bei Phenprocoumon durch die Laborwerte genau weiß, wie es um die Gerinnung bei einem Patienten steht, agiert er bei den drei neuen Substanzen im Blindflug.“1

Im Rahmen der US-Gerichtsverfahren sind jetzt Diskussionen, die Mitarbeiter der Firma untereinander per E-Mail geführt haben, öffentlich geworden.2,3 Denn das US-amerikanische Rechtssystem ermöglicht, dass relevante Informationen der beklagten Firmen freigegeben werden müssen. In den E-Mails geht es um ein internes Manuskript, das Mitarbeiter des Konzerns verfasst haben. Es handelt sich um eine Neuauswertung der Zulassungsstudie für Dabigatran als Mittel der Schlaganfallvorbeugung bei Vorhofflimmern. Dem Manuskript zufolge haben Patienten, die Dabigatran einnehmen, sehr unterschiedliche Wirkstoffspiegel im Blut. Besonders hohe Spiegel gehen auffällig häufig mit schweren Blutungen einher. Die Wirkung ist also zu stark. Ist der Wirkstoffspiegel zu niedrig, gibt es mehr Schlaganfälle und Embolien. Die Autoren des Manuskripts sprechen sich dafür aus, die Blutkonzentration des Wirkstoffes oder die gerinnungshemmende Aktivität zu testen, um diejenigen Patienten herauszufinden, die durch extreme Werte besonders gefährdet sind.

Dieser Vorschlag hat in der firmeninternen Diskussion für beträchtliche Unruhe gesorgt (siehe Kasten). So argumentiert eine seit langem für Dabigatran zuständige Mitarbeiterin, dass die Entwicklung eines Labortests bereits vor einigen Jahren verworfen worden sei, weil die Verkaufsstrategen auf ein einfach zu handhabendes Präparat setzten. Dies sei für den Wettbewerb mit den anderen neuen Gerinnungshemmern wichtig. Nachdem zwischenzeitlich sogar ein kompletter Verzicht auf die Veröffentlichung des Manuskripts im Gespräch war, hat die firmeninterne Diskussion letztlich dazu geführt, dass die Autoren ihre ursprünglichen Schlussfolgerungen revidieren und deutlich abschwächen mussten.2

Bis zum Beweis des Gegenteils dürften die Vorbehalte bei Dabigatran ähnlich auch für die übrigen neuen Antikoagulanzien Apixaban und Rivaroxaban gelten, folgert das arznei-telegramm,3 eine der Gründungszeitschriften von GPSP. Anders als bei bewährten Gerinnungshemmern wie etwa Marcumar®, bei denen Labortests etabliert sind und der optimale Bereich für Wirkung und Sicherheit gut abgesichert ist, fehlt für alle drei neuen oralen Arzneimittel eine zuverlässige Überwachung.

Boehringer Ingelheim bemüht sich jetzt, wo die E-Mails bekannt wurden, um Schadensbegrenzung: „Boehringer Ingelheim hat und wird niemals kommerzielle Erwägungen über Patientensicherheit stellen. Jeglicher Vorwurf in diese Richtung ist falsch.“ 4 Diese Stellungnahme steht in deutlichem Widerspruch zur Realität der firmeninternen E-Mails.

Die Behandlung mit Gerinnungshemmern wie Dabigatran könnte mit begleitenden Tests sicherer sein. Gewinninteressen zählen jedoch offensichtlich mehr als das Recht von Kranken auf eine möglichst sichere Arzneimitteltherapie. Dies halten wir für skandalös.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2014 / S.06