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©Annika_Ucke

Nahrungsergänzungsmittel: Schlecht geprüft

Zwischen überflüssig und gefährlich

Der Markt der Nahrungsergänzungsmittel boomt. Nach einer Umfrage der Verbraucherzentralen kauft hierzulande jeder Dritte solche Produkte. Rund 1,2 Milliarden € sind sie den Deutschen jährlich wert. Die Summe repräsentiert jedoch lediglich Verkäufe über den deutschen Einzelhandel sowie über Versandapotheken. Wieviel Geld zusätzlich über Bestellungen bei irgendwelchen Internethändlern ausgegeben wird, bleibt offen. Dieses Marktsegment ist unkontrolliert und unüberschaubar.

Der Boom wird vielfach auf ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein zurückgeführt. Dass jedoch eine Ergänzung unserer Nahrung mit Vitaminen und Mineralstoffen, pflanzlichen oder sonstigen Stoffen überhaupt sinnvoll ist, bezweifeln wir. Das Geld dürfte in einer abwechslungsreichen Ernährung, die auf Obst und Gemüse der Saison und der Region basiert, besser angelegt sein.

Im Gegensatz zu Arzneimitteln werden Nahrungsergänzungsmittel nicht behördlich auf Nutzen und potenzielle Schädlichkeit überprüft. Sie unterliegen dem Lebensmittelrecht. Für Lebensmittel gilt: Sie müssen vor allem sicher sein. Die Verantwortung hierfür liegt ausschließlich bei den Herstellern, Importeuren bzw. Anbietern (siehe Interview S. 19). Doch diese haben vor allem Interesse daran, Umsatz zu machen. Produzenten und Anbieter vermitteln daher oft den Eindruck, dass ihre Produkte völlig ohne Risiko sind und die Gesundheit verbessern können, ohne dass sie dies durch Studien belegen müssen. Und manche Nahrungsergänzungsmittel sind  nicht nur überflüssig, sondern geradezu gefährlich. Dabei handelt es sich um Produkte, die chemische Wirkstoffe enthalten, die nicht auf der Packung deklariert sind („gepanschte“ Produkte), und überwiegend um Nahrungsergänzungsmittel aus zweifelhaften Quellen im  Internet. Grundsätzlich sollten Sie Nahrungsergänzungsmittel – sofern man überhaupt hierfür Geld ausgeben will – über Händler in Deutschland oder der europäischen Union kaufen, da dann zumindest eine gewisse Kontrolle des Händlers stattfindet, erkennbar am europäischen Qualitätslogo mit dem weißen Kreuz auf grünem Grund (GPSP 5/2015, S. 14). Wo immer möglich, nennt GPSP auffällig gewordene Produkte im Klartext, damit sich Verbraucherinnen und Verbraucher konkret informieren und schützen können.

In den zwei Monaten seit der letzten Ausgabe von GPSP haben wir 12 weitere illegale Produkte aufgespürt. Im Internet (www.gutepillen-schlechtepillen.de) finden Sie Näheres zu rund 2.000 illegalen Nahrungsergänzungsmitteln. Damit haben Sie Zugriff auf die weltweit umfangreichste öffentlich zugängliche Datenbank zu gepanschten Produkten. Doch auch diese entspricht leider nur der Spitze des Eisbergs, weil eine systematische Überprüfung von Nahrungsergänzungsmitteln fehlt.

Mit chemischem Appetithemmer und zum Teil zusätzlich mit Abführmittel gepanscht

Produkt: auf der Packung nicht deklarierte Stoffe

  • 7 Days Slim hip & Legs Kapseln: Sibutramin
  • CA NI CAP Arm Slim: Sibutramin
  • Hypnotic poisom Kapseln: Sibutramin + Phenolphthalein
  • Lishou Strong Slimming Kapseln: Sibutramin
  • PAYA: Sibutramin
  • Perfect Slim by Peenuch Kapseln: Sibutramin
  • Slim Body Advanced Kapseln: Sibutramin

Sibutramin: Sibutramin war 1999 bis 2010 als verschreibungspflichtiges Arzneimittel (Reductil®) im Handel. Dann musste es – längst überfällig – weltweit wegen seines Herz-Kreislauf-schädigenden Potenzials aus dem Handel gezogen werden (GPSP 2/2010, Seite 8 – https://gutepillen-schlechtepillen.de/kurz-und-knapp-endlich-sibutramin-reductil-vom-markt/). Sibutramin kann den Blutdruck und die Herzschlagrate erhöhen und gefährdet vor allem Menschen mit koronarer Herzkrankheit (Angina pectoris), Herzrhythmusstörungen oder Schlaganfall in der Vorgeschichte. Es drohen Herzinfarkt, Herzstillstand, Schlaganfall u.a. Auch wenn gleichzeitig bestimmte andere Medikamente eingenommen werden, sind lebensbedrohliche Folgen möglich.

Phenolphthalein: Die abführende Chemikalie Phenolphthalein wurde vor Jahren z.B. als Darmol® Abführschokolade verkauft. Das Abführmittel kann einen vorübergehenden Gewichtsverlust vorgaukeln, weil der Darm entleert wird. Es macht aber nicht schlank, sondern vielleicht sogar krank: Arzneimittel mit Phenolphthalein sind nämlich bereits vor vielen Jahren wegen ihres krebsauslösenden Potenzials vom Markt verschwunden. Wer langfristig ein Phenolphthalein-haltiges Mittel einnimmt, riskiert Magen-Darm-Störungen, Herzrhythmusstörungen, Krebs und andere unerwünschte Folgen.

Mit chemischen Potenzmitteln gepanscht

Produkt: auf der Packung nicht deklarierte Stoffe

  • Best Candy: Nortadalafil
  • Jaguar 30000: Tadalafil
  • Poseidon 4500 (Extreme 1000 mg): Sildenafil + Tadalafil

Sildenafil ist der Wirkstoff des Arzneimittels Viagra® (auch in zahlreichen Generika erhältlich) und Tadalafil der Wirkstoff von Cialis®. Mit Nortadalafil wurde in den als Nahrungsergänzungsmittel bezeichneten Produkten auch eine chemische Variante dieser Erektionsförderer aufgespürt, die niemals systematisch am Menschen untersucht worden ist. Die Panscherei von Nahrungsergänzungsmitteln mit solchen nicht deklarierten – also verheimlichten – verschreibungspflichtigen bzw. unerprobten Arzneiwirkstoffen gegen Erektionsstörungen ist besonders heimtückisch und kriminell. Sie gefährdet Verbraucher ganz erheblich, denn manche Menschen dürfen gerade solche chemischen Erektionsförderer nicht einnehmen. Dazu gehören Herzkranke, die gleichzeitig Nitropräparate wie Isosorbiddinitrat (ISDN) oder ähnliche Arzneimittel gegen Angina pectoris benötigen (GPSP 2/2013, S. 4https://gutepillen-schlechtepillen.de/angina-pectoris/). In Kombination mit einem chemischen Impotenzmittel wie Sildenafil oder Tadalafil und deren Abkömmlingen kann der Blutdruck lebensbedrohlich abfallen. Vor allem wer aus medizinischen Gründen chemische Erektionsförderer meiden muss, erhofft sich jedoch möglicherweise Hilfe von den als harmlos beworbenen Nahrungsergänzungsmitteln und ist unwissentlich gefährdet, wenn er an ein gepanschtes Produkt gerät.

Mit chemischen Kortisonabkömmling gepanscht

Produkt: auf der Packung nicht deklarierte Stoffe

  • Ure Tonic Herbal Traditional: Dexamethason

Dexamethason ist ein stark wirkender Kortison-Abkömmling und wird ab und zu in angeblich natürlichen Nahrungsergänzungsmitteln entdeckt. Dexamethason ist aus gutem Grund verschreibungspflichtig. Es kann beispielsweise die Fähigkeit des Körpers herabsetzen, Infektionen abzuwehren, den Blutdruck sowie den Blutzuckerspiegel erhöhen und psychische Probleme auslösen. Nach längerer Einnahme löst abruptes Absetzen Entzugserscheinungen aus. Vielfältige Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen sind möglich.

Mit gleich drei verschiedenen synthetischen Arzneimitteln gepanscht

Produkt: auf der Packung nicht deklarierte Stoffe

  • Solve Botanical Slimming Kapseln: Furosemid + Paracetamol +  Phenolphthalein

Furosemid wirkt stark entwässernd. Typische unerwünschte Wirkungen betreffen daher den Flüssigkeitshaushalt des Körpers sowie den Gehalt an Elektrolyten wie Kalium und Natrium im Blut.

Paracetamol ist ein schmerzlindernder und fiebersenkender Wirkstoff und als Ben-u-ron® und in vielen anderen Arzneimitteln im Handel. Solange die vorgeschriebenen Maximaldosierungen von Einzel- und Tagesdosis eingehalten werden, ist Paracetamol relativ gut verträglich (vgl. GPSP 3/2012, Seite 5). Werden jedoch Nahrungsergänzungsmittel mit diesem Wirkstoff gepanscht, geht der Überblick über die eingenommene Paracetamoldosis verloren. Bei gleichzeitiger Einnahme von Arzneimitteln mit diesem Wirkstoff, beispielsweise als Schmerzmittel oder in Erkältungsmitteln, steigt die Gefahr von Überdosierungen mit dem Risiko einer Leberschädigung.

Phenolphthalein: Näheres zu diesem Abführmittel siehe weiter oben unter „Mit chemischem Appetithemmer und zum Teil mit Abführmittel gepanscht“.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2018 / S.27