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Entlarvendes Gutachten

Vorzeitiger Samenerguss – Ein Thema für bild.de

Unter der Last der Interessenten brach die Website des Medien-Doktors im September 2013 kurzfristig zusammen. Was hatte zu dem Ansturm auf www.medien-doktor.de geführt, kurz nachdem dort das Gutachten über einen Text von bild.de zu lesen war? War es das Thema mit dem schrägen BILD-typischen Titel: „Immer diese Quickies. Wie schnell darf ein Mann kommen?“?

Eher nicht. Die Initiative Medien-Doktor (GPSP 1/20011. S. 9) hatte herausgefunden, dass bild.de einen Text veröffentlicht hatte, der die Leser, mal salopp gesagt, veräppelt.1 Das entlarvende Gutachten vom 11. September verbreitete sich rasch über soziale Medien wie Twitter und Facebook. Als dann auch noch der Bild-kritische BILDblog2 (www.bildblog.de) und selbst www.bild.de auf das Gutachten verlinkten, war das Interesse enorm. Worum ging es?

Krank gemacht

Der vorzeitige Samenerguss ist für manche Männer – besser gesagt Paare – ein Problem. Aber die Behauptung, dass jeder 5. Mann damit zu tun hat, ist nicht belegt und weitgehend Definitionssache.3 Das hinderte bild.de nicht, mit dieser Häufigkeitsangabe das Thema aufzuheizen. Aber: Wer solche Zahlen hochtreibt, schürt Ängste und bewirkt, dass Menschen sich krank fühlen und nach Therapiemöglichkeiten suchen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Krankmach-Kampagnen (englisch: disease awareness).

Es ist wohl kaum ein Zufall, dass ein paar Zeilen später in dem bild.de-Artikel eine verschreibungspflichtige Pille angepriesen wird, und zwar gleich mit Handelsnamen.4 An dieser Stelle hört die Kritik an dem bild.de-Text allerdings nicht auf.

Telefonaktion einer PR-Agentur

Das Perfide an der ganzen Sache: Gerade die Hauptpassage unter der Überschrift „Fragen und Antworten am Lesertelefon“ hat bild.de von einer PR-Agentur übernommen – inklusive der vier Experten, die mitfühlend Leserfragen beantworten, bei denen nicht klar ist, wer sie so gestellt hat. Das Frage-und-Antwort-Spiel hatte diese PR-Agentur zusammengefasst und im Auftrag einer anderen Werbeagentur, die für Berlin–Chemie arbeitet, an Redaktionen verschiedener Medien weitergereicht. Keine Frage: Durch die Veröffentlichung hat sich die Redaktion von bild.de zum verlängerten Arm des Arzneimittelanbieters gemacht.

Aus der Mängelliste des Medien-Doktors: Es wurden „die Experten von einer PR-Agentur ausgesucht“ und „die gesamte Telefonaktion gar nicht von der Redaktion durchgeführt “, obwohl im Text von „unser Lesertelefon“ die Rede ist. Das Gutachten kritisiert zudem, dass der Inhalt wichtige und kritische Informationen zum Berlin-Chemie-Produkt vermissen lässt: So wird etwa der „Nutzen des Medikaments gar nicht konkret beziffert“, „nicht auf mögliche Nebenwirkungen“ eingegangen und mögliche „Alternativen, den Zeitpunkt des Samenergusses zu steuern“, kommen zu kurz.

Bild.de wurde mit nur einem von fünf möglichen Sternen für „seinen“ Bericht zum vorzeitigen Samenerguss abgestraft. Denn zumindest etwas stimmte an dem Bericht: der Preis für das Medikament und dass Krankenkassen die Kosten nicht erstatten.

 

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2013 / S.17