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Durchleuchtet

Wie die Röntgentechnik die Medizin veränderte

Als Wilhelm Conrad Röntgen Strahlen entdeckte, die Körper durchleuchten können, war die Welt begeistert. Erst später wurde klar, dass die Strahlen nicht nur eine medizinische Revolution, sondern auch eine Gesundheitsgefahr darstellten.

Wie stünde es um die moderne Medizin heute, wenn Wilhelm Conrad Röntgen 1895 nicht entdeckt hätte, dass es Strahlen gibt, mit denen man das Innere von Körpern abbilden kann? Knochenbrüche, Herzinfarkte, Hirntumore – das alles ließe sich deutlich schwerer behandeln, wenn es die Röntgentechnik nicht gäbe.

Ein Multitalent

Dabei war Röntgens Entdeckung purer Zufall – ein Zufall, den es wohl kaum gegeben hätte, wäre sein Leben anders verlaufen. Röntgen war ein Multitalent – einer, der über den eigenen Tellerrand hinausblickte und die Gabe hatte, komplexe Zusammenhänge klar zu strukturieren. Seine Karriere verlief jedoch nicht immer in geraden Bahnen.

Die Technikschule verließ er ohne Abschluss, weil er die Verantwortung für einen Streich übernahm. Röntgen studierte in Zürich Maschinenbau und kam dort mit der Experimentalphysik in Kontakt. In Zürich verliebte er sich auch in seine spätere Frau Anna Bertha, die noch eine wichtige Rolle während seiner Forschungen spielen sollte – ebenso wie sein Hobby: das Fotografieren.

Mysteriöses Leuchten

Röntgen nahm später einen Lehrauftrag an der Universität Würzburg an. Im Alter von 50 Jahren experimentierte er dort mit Kathodenstrahlröhren – Vakuumröhren aus Glas, die eigentümlich leuchteten. Röntgen versuchte, mehr über das Leuchten herauszufinden. Bei seinen Experimenten fiel ihm auf, dass ein mit fluoreszierender Farbe beschichtetes Papier in einer anderen Ecke des Raumes ebenfalls leuchtete, wenn die Röhre in Betrieb war – und dass dies selbst dann noch der Fall war, wenn Röntgen die Röhre mit schwarzer Pappe verkleidete. Auch bei Abschirmungen aus Holz und anderen leichten Materialien leuchtete das Papier weiter. Hingegen schienen Metall und ein hoher Bleigehalt der Glasröhre den Effekt zu verhindern. Röntgen schloss aus dieser Beobachtung, dass von der Röhre eine unsichtbare Strahlung ausgehen musste, die einige Materialien durchdringen konnte.

Die X-Strahlen

Als Fotograf kam er auf die Idee, statt des beschichteten Papiers Filmplatten auszuprobieren – und durchleuchtete in einem ersten Versuch die Hand seiner Frau. Dieses Foto wurde zu einem bedeutenden Dokument der Medizingeschichte (siehe Abbildung). Darauf ist das weichere Gewebe nur schemenhaft zu sehen, die Knochen klar zu erkennen und der Ehering aus Metall sticht deutlich hervor. Röntgens Frau musste für diese Aufnahme eine Viertelstunde stillhalten und war vom Ergebnis erschrocken. „Ich habe meinen eigenen Tod gesehen!“, soll sie gesagt haben. Röntgen hingegen war sehr angetan von seiner Aufnahme. Er veröffentlichte sie 1895 in seiner wissenschaftlichen Publikation über die „X-Strahlen“, wie er die Strahlen nannte. Deshalb heißen im Englischen die Röntgenstrahlen heute noch „x-rays“.1

Medizinische Revolution

Die Nachricht von Strahlen, die durch Körper hindurchleuchten können, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Schon im Januar 1896 stand die Welt kopf und Kaiser Wilhelm II lud Röntgen ein, ihm die neue Technik vorzuführen. In den Zeitungen übertrafen sich die Kommentare mit Visionen über die Medizin der Zukunft und Röntgen wurde zu unzähligen Vorträgen eingeladen. Die meisten schlug er aus – er wollte keinen Rummel. Aber bereits kurze Zeit später wurden die von ihm entdeckten Strahlen „Röntgenstrahlen“ genannt.

Röntgenstrahlen gehen um die Welt

Nur drei Wochen danach verkaufte eine Berliner Firma die ersten Röntgenröhren, ein Jahr später hielten medizinische Einrichtungen weltweit Röntgenapparate bereit. In New York konnte man Knochenporträts anfertigen lassen. Man sagte den Strahlen nach, asthmatische Anfälle und Kopfschmerzen lindern zu können. Diese Zeit war geprägt von der Euphorie, in Körper hineinsehen zu können, ohne sie zu schädigen. Der Boom hatte auch damit zu tun, dass Röntgen auf ein Patent verzichtet hatte: Er wollte, dass die Technik möglichst vielen Menschen zugutekommt. 1901 erhielt er für seine Entdeckung den ersten Nobelpreis für Physik.

Röntgenstrahlung kann schaden

Dass die Röntgenstrahlen auch eine dunkle Seite haben, wurde schon sehr bald deutlich, als die ersten Berichte über Strahlenschäden auftauchten. 1896 verlor der Wissenschaftler William Dudley nach einer Durchleuchtung seines Kopfes alle Haare, und in Fachzeitschriften erschienen Berichte über Verbrennungen. Der Wissenschaftler Nikola Tesla warnte ab 1897 eindringlich vor den Gefahren, nachdem er selbst massive Strahlenschäden erlitten hatte.

Trotzdem wurde noch in den 1940er-Jahren zum Teil ohne Schutzvorkehrungen geröntgt. Das Wissen um ionisierende Strahlung entstand erst nach und nach, und so wurden noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein die Gefahren der Röntgentechnologie unterschätzt.

Moderner Strahlenschutz

Heute weiß man, dass Röntgenstrahlen Zellen und ihr Genmaterial schädigen und somit Krebserkrankungen und Erbgutschäden verursachen können. Dabei gibt es einen Zusammenhang zwischen der Dosis der Strahlung und dem Krebsrisiko. Für medizinisches Personal ist die Gefahr besonders groß, wenn es regelmäßig Röntgenstrahlen ausgesetzt ist. Spezielle Aufnahmeverfahren, bauliche und persönliche Abschirmung und Fernbedienungen verringern die Gesundheitsgefahren. Bei Patient:innen schützen Bleischürzen; Röntgenpässe verzeichnen die jeweilige Strahlendosis. Der Nutzen und Schaden einer Röntgenuntersuchung soll vor jeder Anwendung gründlich abgewogen werden.2

Einsatz heute

Die Röntgentechnologie ist aus der Medizin heutzutage nicht mehr wegzudenken, vor allem in verschiedenen Untersuchungstechniken. Dazu gehört neben den „klassischen“ Röntgenaufnahmen bei einem Knochenbruch zum Beispiel auch die Computertomografie. Dabei werden aus verschiedenen Richtungen Röntgenbilder aufgenommen, die ein Computerprogramm zu einem Schnittbild zusammensetzt. In der Kombination mit Kontrastmitteln lassen sich zudem Körperhöhlen wie Magen oder Darm sowie Blutgefäße untersuchen.

Von Anfang an wurde die Röntgenstrahlung aber auch zur Therapie eingesetzt, etwa bei Brustkrebs. Bis heute ist die Strahlentherapie ein wichtige Säule der Behandlung von Krebs.3 Auch außerhalb der Medizin helfen Röntgenstrahlen, Unsichtbares sichtbar zu machen, etwa in den Bereichen Archäologie und Kunstgeschichte.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2021 / S.12