„Der Terror der Gesundesser“
Schluss mit den falschen Ernährungsvorschriften.
Täglich 2 – 3 Liter trinken, Low-Fat-Produkte kaufen, 5 x täglich Obst und Gemüse essen – es mangelt nicht an Tipps zur gesunden Ernährung. Häufig werden sie unterfüttert mit Erkenntnissen von Ernährungsforschern. Der Mediziner und Journalist Werner Bartens zerpflückt so manche heilige Regel und schreibt eine leicht verdauliche Anleitung, diesen Tipps zu misstrauen und den gesunden Menschenverstand zu reaktivieren.
Im ersten Kapitel geht es gar nicht ums Essen, sondern um Sport. Der ist bekanntlich gesund und hilft, angefutterte Kalorien zu verbrennen. Bartens jedoch moniert augenzwinkernd, dass modischer Fitnesswahn durchaus ungesund sein kann. Sein Plädoyer: Keine freudlose Verbissenheit, sondern die Bewegungsart suchen, die einem wirklich gute Laune macht.
Freude ist das A und O auch im folgenden Kapitel, in dem es dann ums eigentliche Thema geht: „Es gab einmal eine Zeit, da hat das Essen noch Spaß gemacht.“ Doch inzwischen kamen „Heerscharen von Lebensmittelchemikern und … Ernährungswissenschaftlern“, die „zerlegten das Essen, bis es ungenießbar wurde“. Denn ständig werden neue Bösewichte im Essen identifiziert, und Schlagzeilen, welche Inhaltsstoffe die Guten sein sollen, gibt es zuhauf. Kaum eine Zeitschrift kommt ohne Ernährungstipps aus, Kochbücher sprießen ungebremst aus dem Blätterwald und jubeln diese oder jene gesunde Ernährungsweise hoch, attackieren wortgewaltig angeblich gesundheitsschädliches Essen.
Der Autor empfiehlt, sich davon nicht verrückt machen zu lassen: „Es kommt nicht darauf an, was gegessen wird, sondern wie.“ Denn wenn aus lauter Angst vorm Krankwerden der Genuss fehlt, wird es in der Tat ungesund. Ein konkreter Tipp: „Vermeiden Sie Nahrungsmittel, die sich als gesund anpreisen.“ Was mit gesundheitsbezogenen Werbebotschaften laut auf sich aufmerksam macht, sind in der Regel Kunstprodukte, geschaffen von Lebensmittelchemikern und Produktdesignern. Kartoffeln, Radieschen, Äpfel … – also natürliche Lebensmittel – liegen hingegen still im Regal.
„Ernährungswissenschaften abschaffen!“, so lautet das provokante Fazit des Autors, das er sehr differenziert begründet. Beispielsweise wurde 1990 von der Weltgesundheitsorganisation die Faustregel „5 x täglich Obst und Gemüse“ ausgerufen, dies ist jedoch bis heute nicht stichhaltig belegt. Das gilt auch für die Behauptung, dass man Krebs mit der richtigen Ernährung verhindern kann. Das Problem der Ernährungsforschung ist: Studien sind häufig methodisch schlecht gemacht und dadurch nicht aussagekräftig, oder sie widersprechen einander. Zugleich werden daraus beliebig viele Ernährungsempfehlungen abgeleitet.
Was passieren kann, verdeutlicht die Low-Fat-Welle, die in den USA der 1970er Jahre hochschwappte. Entsprechende Produkte eroberten den Markt mit dem Versprechen, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken. Doch der Erfolg blieb aus: Je mehr sich die Ernährungsweise verbreitete, desto häufiger wurden Schlaganfälle und Herzinfarkte registriert – man meinte, „umso ungehemmter zuschlagen“ zu können.
Werner Bartens rät auch bei vielen anderen Themen wie Trinken, Diäten und Detox zu Skepsis, und zwar gegenüber sämtlichen gut gemeinten Ratschlägen. Wer gesund leben möchte, sollte sich nicht verrückt machen lassen. Ein Buch zu einem ernsten Thema, mit viel Schmunzeln präsentiert.
Werner Bartens (2015) Der Terror der Gesundesser. Schluss mit den falschen Ernährungsvorschriften. Goldmann Verlag, 124 Seiten, 8,99 €.
Stand: 25. April 2016 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2016 / S.16