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© Juanmonino/ iStockphoto.com

Chemotherapie oder nicht?

Test soll Entscheidung bei Brustkrebs erleichtern

Ein Biomarker-Test soll Frauen bei frühem Brustkrebs bei der Entscheidung helfen: Lohnen sich die Nebenwirkungen und Mühen einer Chemo – oder lässt sich darauf auch verzichten? Die Kassen zahlen den Test. Es sind jedoch noch einige Fragen offen, und für Betroffene gibt es bisher nur dürftige Informationen.

Bei Brustkrebs die richtige Behandlungsentscheidung zu treffen, ist alles andere als einfach. Zwar gibt es einige Anhaltspunkte, die dabei helfen können und die routinemäßig erhoben werden. Dazu zählen etwa bestimmte Eigenschaften des Tumorgewebes, aber auch die der betroffenen Frau, beispielsweise ob sie die Wechseljahre bereits hinter sich hat. Trotzdem ist es anhand dieser herkömmlichen Kriterien nicht immer eindeutig zu entscheiden, ob eine Frau mit Brustkrebs im frühen Stadium beispielsweise zusätzlich zu einer Operation auch von einer Chemotherapie profitiert.

Bei der Entscheidung steht einiges auf dem Spiel: Bei Verzicht auf eine notwendige Chemotherapie kann der Krebs möglicherweise wiederkehren, die Frau also einen Rückfall bekommen. Bei der Entscheidung für eine Chemotherapie muss die Frau allerdings die teils erheblichen unerwünschten Wirkungen in Kauf nehmen, die sich manchmal nicht nur während der Behandlung, sondern auch langfristig bemerkbar machen. Und nicht bei jeder Frau wird die Chemotherapie einen Rückfall sicher verhindern.

Blick in den Tumor

In dieser unübersichtlichen Situation werden seit einiger Zeit sogenannte Biomarker-Tests angeboten. Sie analysieren in einer Gewebeprobe bestimmte Eigenschaften des Tumors, etwa ob bestimmte Eiweißstoffe gebildet werden oder bestimmte Gene aktiv sind. Die Ergebnisse sollen dann Aufschluss darüber geben, wie groß das Risiko für einen Rückfall ist. Auf dieser Basis kann dann die Entscheidung getroffen werden, eine Chemotherapie durchzuführen oder darauf zu verzichten. Die Biomarker-Tests sind jedoch nur für die Situation vorgesehen, dass die herkömmlichen Kriterien nicht bereits eindeutig für oder gegen eine Chemotherapie sprechen. Ansonsten ist der zusätzliche Test überflüssig.

Unzureichend untersucht

Allerdings gibt es bei den Biomarker-Tests ein gravierendes Problem: Bei vielen fehlten bisher verlässliche Daten, ob die Ergebnisse tatsächlich den gewünschten Effekt haben. Konkret müsste zum Beispiel untersucht werden, ob nicht doch mehr Rückfälle auftreten, wenn aufgrund des Testergebnisses auf die Chemo verzichtet wird.

Diese unzureichende Datenlage war bisher der Grund, dass die Tests keine reguläre Leistung der gesetzlichen Krankenkassen waren. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte sich zwar schon seit einigen Jahren zu dem Thema beraten, konnte aber wegen der fehlenden Daten keine Entscheidung treffen. Kürzlich hat sich das für einen bestimmten Test geändert: Seit Ende August 2019 wird der Test „Oncotype DX“ von allen gesetzlichen Krankenkassen erstattet.1 Vorher war das nur bei bestimmten Kassen möglich oder die Patientinnen mussten selbst für die Kosten aufkommen, rund 3.000 Euro. Der Test wertet die Aktivität von 21 Genen aus, die mit der Aggressivität des Tumors in Verbindung gebracht werden. Daraus wird nach einem komplexen Verfahren eine Punktzahl („Score“) berechnet, die Aufschluss über das Rückfallrisiko geben soll.

Jetzt bessere Daten

Warum bezahlen alle Kassen jetzt den Test? 2018 ist eine relativ aussagekräftige Studie mit rund 10.000 Frauen erschienen.2 Die Frauen hatten Brustkrebs im frühen Stadium, bei dem der Tumor zwar Rezeptoren („Antennen“) für Hormone, aber nicht für Wachstumsfaktoren aufwies, und bei denen sich der Krebs noch nicht auf die Lymphknoten ausgebreitet hatte. Nach den herkömmlichen Kriterien wäre ihnen zusätzlich zur OP und Hormonbehandlung eine Chemotherapie empfohlen worden.

Alle Frauen wurden mithilfe des Biomarker-Tests untersucht. Bei niedrigem Rückfallrisiko wurde auf eine Chemotherapie verzichtet, bei hohem Rückfallrisiko eine Chemotherapie angesetzt.  Rund zwei Drittel der Studienteilnehmerinnen hatten jedoch ein mittleres Rückfallrisiko. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Behandlungsgruppen zugeteilt: Entweder erhielten sie eine Chemotherapie oder nicht. Nach neun Jahren hatten – zumindest rein rechnerisch – Frauen mit und ohne Chemotherapie hinsichtlich der Rückfallhäufigkeit und Überlebensrate ein sehr ähnliches Ergebnis.3 Ganz eindeutig ließ sich jedoch nur für Frauen über 50 Jahren oder nach den Wechseljahren sagen, dass der Verzicht auf die Chemotherapie ihnen keine Nachteile gebracht hatte.4

Einige Einschränkungen

Was die Aussagekraft der Studie jedoch einschränkt: Jede fünfte Frau, die eigentlich eine Chemotherapie erhalten sollte, verzichtete darauf. Das könnte das Ergebnis in der Gruppe mit Chemotherapie verschlechtert haben, sodass der Verzicht auf Chemotherapie vorteilhafter erscheint, als er in Wirklichkeit ist.

Der Verzicht auf eine Chemotherapie könnte mancher Frau quälende Nebenwirkungen ersparen und so die Lebensqualität verbessern. Ob dies bei den Frauen in der Studie aber tatsächlich der Fall war, ist unklar: Denn diese Daten wurden zwar erhoben, sind bislang aber noch nicht veröffentlicht. Das wäre aber eine wichtige Information für die Therapieentscheidung.

Und schließlich beruht die Einstufung für das Rückfallrisiko (niedrig, mittel, hoch) auf Annahmen, die nicht eindeutig getestet beziehungsweise belegt sind.4

Offene Fragen

Und es gibt weitere kritische Stimmen: So wird etwa bemängelt, dass der Test, der aus den USA stammt, bisher nicht nach den europäischen Vorgaben für diagnostische Verfahren überprüft wurde und deshalb auch kein CE-Kennzeichen trägt. Auch kann der Test bislang ausschließlich im Labor des Herstellers in den USA durchgeführt werden, was Fragen nach dem Datenschutz nach europäischem Standard aufwirft.5

Dürre Informationen

In dieser komplexen Situation wäre es umso wichtiger, dass Frauen – außer dem Gespräch mit Arzt oder Ärztin – noch weitere ausführliche Informationen zur Verfügung stehen. Von Seiten des G-BA gibt es bisher jedoch nur ein recht dürres Merkblatt, das keine echte Hilfestellung ist.

Und die anderen Tests?

Zu den anderen Biomarker-Tests bei Brustkrebs ist bisher im G-BA keine Entscheidung gefallen. Ein entsprechendes Gutachten ist aber beim IQWiG, das für die Bewertung zuständig ist, in Auftrag gegeben. Einige Krankenkassen bieten die Tests aufgrund von speziellen Vereinbarungen dennoch bereits ihren Versicherten an: im Rahmen von sogenannten Selektivverträgen mit Pathologen oder Herstellern. Allerdings ist die Datenlage hier vermutlich noch dünner – und ob Patientinnen ausreichend informiert werden, ist ebenfalls völlig unklar.

G-BA
GPSP 2/2015, S. 6

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2019 / S.23