Nikotinbeutel: Freizeitspaß oder Gesundheitsgefahr?
Wie viel Nikotin ist zu viel?
Was veranlasst junge Menschen in Dänemark dazu, Nikotinbeutel in diverse Körperöffnungen einzuführen, statt sie unter die Lippe zu klemmen? Und warum fällt die vorläufige gesundheitliche Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung so zurückhaltend aus? Die Debatte um Nikotinbeutel verläuft nach wie vor kontrovers.
Rechtlich gesehen befinden sich Nikotinbeutel in einer Grauzone: Denn sie enthalten keinen Tabak, sondern nur Nikotin. Anders als E-Zigaretten sind sie auch nicht ausdrücklich dem Tabakrecht unterstellt. Deshalb gelten für sie nicht die gleichen Regeln wie für Zigaretten & Co.
Über Eines gibt es bei den für Gesundheitsfragen zuständigen Bundesländern aber Konsens: Nikotinbeutel fallen unter das Lebensmittelrecht und sind als gesundheitsschädlich einzustufen. Dafür sprechen auch verschiedene Gutachten von Landesbehörden, zuletzt des Landesamtes für Verbraucherschutz in Sachsen-Anhalt: Das Amt hatte handelsübliche Nikotinbeutel chemisch analysiert und toxikologisch bewertet. Das Ergebnis: Selbst wenn man annimmt, dass nur 20 Prozent des enthaltenen Nikotins aus den Beuteln freigesetzt wird und in den Körper gelangt, dann werden die Werte, die als schädlich gelten, um ein Vielfaches überschritten.1
Keine einheitlichen Regeln
Anbieter versuchen immer noch, gegen behördliche Verkaufsverbote vorzugehen, allerdings zunehmend ohne Erfolg: Denn Gerichte haben mehrfach im Sinne der Behörden entschieden. Was die Situation allerdings schwierig macht: Bislang fehlt immer noch eine verbindliche bundesweite oder gar europaweite gesetzliche Regelung zur Einstufung, um die die Verbraucherschutz-Ministerkonferenz die Bundesregierung gebeten hat. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hatte inzwischen das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mit einer gesundheitlichen Bewertung beauftragt.
Ein erster Zwischenstand auf der Basis von Literaturauswertungen wurde inzwischen veröffentlicht. Er kratzt jedoch bislang nur an der Oberfläche des Problems: So sollte die Höchstmenge an Nikotin laut BfR pro Beutel bei höchstens 16,7 Milligramm liegen. Grundlage für diese Bewertung sind Berechnungen, wie viel Nikotin akut giftig wirkt. Zur Einordnung: Die Hersteller haben sich auf eine freiwillige Obergrenze von 20 Milligramm Nikotin pro Beutel geeinigt, das BfR fand im Handel jedoch auch Produkte mit bis zu 50 Milligramm.2
Eine weitergehende Auseinandersetzung mit den gesundheitlichen Folgen des Nikotinkonsums fehlt jedoch bisher im BfR-Bericht. Weitere eigene Untersuchungen, besonders zum Nikotinspiegel im Blut, sollen folgen.
Und langfristig?
Der Ärztliche Arbeitskreis Rauchen und Gesundheit beklagt in einer Stellungnahme, dass das BfR nicht berücksichtigt hat, dass Nikotin nicht nur akut, sondern bei anhaltendem Konsum auch längerfristig Gesundheitsschäden anrichten kann. Bemängelt wird ebenfalls, dass das BfR in seiner Literaturauswertung nicht darauf hingewiesen hat, dass einige der zitierten Arbeiten von Mitarbeitenden der Tabakindustrie oder ihren Beratungsunternehmen stammen. Auch müsse die Empfehlung des BfR, Nikotinbeutel im Tabakrecht zu regulieren, kritisch geprüft werden: So wäre auch ähnlich wie bei Nikotinersatzprodukten eine Unterstellung unter das Arzneimittelrecht mit strengeren Regeln denkbar.3
Gefährlicher Unfug
Ungeachtet der rechtlichen Debatten hat die Gesundheitsgefährdung durch Nikotinbeutel inzwischen ein neues Niveau erreicht: Wie die dänische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Danmarks Radio berichtete, scheinen Jugendliche und junge Erwachsene riskante Anwendungen zu erproben – indem sie die Nikotinbeutel nicht wie vorgesehen im Mund unter die Lippe klemmen, sondern in andere Körperöffnungen einführen. Die Details ersparen wir unseren Leser:innen.4 Die dänische Regierung hat angekündigt, den Preis für Nikotinbeutel deutlich anzuheben, um den Konsum gerade für junge Menschen unattraktiver zu machen.5
Nikotinbeutel
GPSP 4/2021, S. 19
Stand: 1. November 2021 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2021 / S.09