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© LightFieldStudios/iStock

Apps auf Rezept: Hohe Kosten, fraglicher Nutzen

Ernüchternde Bilanz für „Digitale Gesundheitsanwendungen“

Die Apps sollen nicht nur schick, sondern auch hilfreich sein. Stattdessen gibt es schwache Nutzennachweise, hohe Kosten, wenige Anwender:innen und Probleme beim Datenschutz.

Machen digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) alles besser? Diesen Eindruck wollte im Oktober 2020 der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn wohl vermitteln. Das digitale Prestigeprojekt startete mit entsprechend vielen Vorschusslorbeeren. Knapp zwei Jahre später fällt die Bilanz eher nüchtern aus: Bislang wurde das Versprechen, dass die „Apps auf Rezept“ die Gesundheitsversorgung verbessern, noch nicht eingelöst.

Erhebliche Kosten

Kritik kommt vor allem von den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), die über die hohen Preise klagen. Im ersten Jahr, also bis Ende September 2021, haben die Krankenkassen laut eigener Auswertung 13 Millionen Euro für DiGAs ausgegeben.

Im ersten Jahr der Erstattungsfähigkeit können die Anbieter die Preise selbst festlegen. Das scheinen sie auch auszunutzen: So verlangte der Anbieter einer App, die bei Schlafproblemen helfen soll, ursprünglich 464 Euro pro Quartal. Als er nach einem Jahr den Preis mit den Krankenkassen verhandeln musste, der sich am nachgewiesenen Nutzen orientierte, halbierten sich die Kosten auf 223 Euro.

Der Durchschnittspreis für die DiGAs liegt bei etwa 400 Euro pro Quartal. Das riecht nach Abzocke. Wenn Patient:innen die Apps selbst bezahlen, verlangen die Anbieter deutlich weniger. Kostengünstig sind sie ohnehin nicht: Vergleichbare Leistungen, die Ärzte und Ärztinnen oder Psychotherapeut:innen zulasten der GKV erbringen, werden schlechter bezahlt als die Apps.1

Nutzung: Bisher eher verhalten

Für die rund 73 Millionen Versicherten der GKV gab es im ersten Jahr 50.000 DiGA-Verordnungen. Von diesen nutzten 80 Prozent das Angebot und ließen sich die diversen Apps freischalten. Das ist vergleichbar mit der Einlösung eines Rezepts in der Apotheke.
Eine genauere Analyse liefert die Techniker Krankenkasse (TK) für ihre Versicherten. Sie berichtet von 92 Prozent eingelösten Verordnungen. Allerdings hat bis Ende 2021 gerade einmal vier Prozent der Praxen von Ärztinnen, Ärzten und Psychotherapeut:innen überhaupt DiGAs verordnet.

Die überwiegende Mehrheit der Apps gab es auf Rezept. Nur bei etwa 15 Prozent hatten sich die Versicherten mit der Bitte um Erstattung direkt an ihre Krankenkasse gewandt. 75 Prozent der Verordnungen bezogen sich auf fünf DiGAs, darunter Apps gegen Schlafstörungen oder Tinnitus.

In einer Umfrage unter rund 250 TK-Versicherten, die DiGAs genutzt hatten, gab etwa ein Drittel an, dass ihnen die App nicht geholfen hat. Sie bemängelten etwa den fehlenden Mehrwert, zu wenig Individualisierung und schlechte Benutzbarkeit.2

DiGA: Was wissen wir zum Nutzen?

Kritik wird aber auch an den Nutzenbelegen laut: Um im DiGA-Verzeichnis dauerhaft gelistet zu werden, müssen die Anbieter der Apps einen Beleg für einen „positiven Versorgungseffekt“ erbringen. Allerdings können sie auch vorher schon unter bestimmten Voraussetzungen für ein Jahr – mit besonderer Begründung auch für zwei Jahre – zur Erprobung aufgenommen werden.

Die Belege sind darüber hinaus auch weniger anspruchsvoll als bei Medikamenten. Zum Vergleich: Bei neuen Arzneimitteln müssen die Anbieter im Rahmen der frühen Nutzenbewertung sofort Daten vorlegen, ob das Medikament besser ist.

Für eine DiGA ist es nicht einmal nötig, den Mehrwert gegenüber bisherigen (nicht-digitalen) Behandlungsoptionen nachzuweisen. Der GKV-Spitzenverband weist darauf hin, dass einige Apps lediglich die digitale Version von schriftlichen Anleitungen für Patient:innen seien.1 Laut einer Auswertung der TK weisen viele der als Nutzenbeleg akzeptierten Studien methodische Mängel auf und hatten nur relativ wenige Teilnehmende.2

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland bemängelte bei der ersten Bewertung einer dauerhaft gelisteten DiGA für Menschen mit Angststörungen ähnliche Aspekte.3

Datenschutz: Manchmal unzureichend

Die Anbieter von DiGAs müssen für die Aufnahme ins Verzeichnis ausreichenden Datenschutz und Datensicherheit darlegen. Bislang genügten dafür Selbstauskünfte. Allerdings gab es immer wieder Berichte über Sicherheitsmängel, zuletzt bei Apps, die sich an Menschen mit Depression beziehungsweise an Frauen mit Brustkrebs richten.4 Dadurch wäre es möglich gewesen, die persönlichen Daten der Nutzer: innen abzugreifen. Erst als eine unabhängige Gruppe von Sicherheitsforscher:innen die Anbieter auf die Lücken hinwies, wurden diese geschlossen.

Künftig sollen allerdings strengere Regeln gelten: So müssen sich die Anbieter zertifizieren lassen, etwa durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Die Zertifikate müssen allerdings erst ab 2023 vorgelegt werden.5 Ob sich die Situation dadurch verbessert, bleibt abzuwarten.

  1. GKV-Spitzenverband (2022) Bericht über die Inanspruchnahme und Entwicklung der Versorgung mit Digitalen Gesundheitsanwendungen 01.09.2020 bis 30.09.2021
  2. Techniker Krankenkasse (2022) DiGA-Report 2022
  3. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (2022) Gutachten zu Velibra
  4. tagesschau.de (2022) Sicherheitslücken bei Gesundheits-Apps. 17. Juni
  5. BfArM (2022) DiGA-Leitfaden

 

Nutzenbewertung: Die Spreu vom Weizen trennen

Apps auf Rezept

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2022 / S.04