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Toiletten in Ketten

Werbeagenturen umgehen trickreich das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel: Das Präparat nennen sie nicht, thematisieren aber, wo es wirken und nützen soll. Sogenannte „Aufklärungskampagnen“, die auf eine Krankheit aufmerksam machen, sind oft von Hersteller Interessen gesteuert. Dass sie nur vorgeblich aufklären und informieren, illustriert eine Kampagne für ein Medikament gegen die überaktive Blase. Die Werbeagentur John Warning hängt im Auftrag des Pharmaunternehmens Astellas das Problem „öfter Müssen“ an die große Glocke und besorgt Kundschaft für das rezeptpflichtige Medikament Vesikur® (Wirkstoff Solifenacin) der Firma.1 Blickfang ist ein mit Ketten verschlossenes Toilettenhäuschen,2 das in einer Ladenpassage aufgestellt wurde.

Ein Werbe-Klo
Das abgebildete Werbe-Klo wurde im Juni 2010 im Münchener Olympia Einkaufszentrum aufgestellt. (Foto: John Warning)
  • Drastische Bilder: Körperhaltung der Figuren und zugekettete Toilette machen (Blasen)Druck.
  • Direkte Ansprache: „Müssen Sie mehr als 8mal täglich Wasser lassen?“ Das kann viele Gründe haben und macht nicht automatisch ein Arzneimittel gegen überaktive Blase nötig.
  • Zweifelhafte Aufforderung: „Sprechen Sie mit Ihrem Arzt“ ist oft ein guter Ratschlag. Hier sollen aber einfach möglichst viele Menschen zum Arzt gelotst werden. Die Agentur rührt auch in Praxen die Werbetrommel, damit Ärzte das Mittel möglichst oft verschreiben. 3
  • Versprechungen: „Überaktive Blase ist behandelbar“. Stimmt! Behandlung erster Wahl ist das Blasentraining.5 Medikamente haben nur geringen Nutzen, was der werbende Arzneimittelanbieter natürlich nicht publik macht.
  • Werbe-Webseite: www.blase-ok.de ist eine Seite von Astellas. Ein Selbsttest führt auch dann
    zur Empfehlung, den Arzt aufzusuchen, wenn man keinerlei Beschwerden angibt.

Der Wirkstoff Solifenacin wirkt nicht besser als andere Arzneimittel gegen Harndrang, ist aber mit etwa 60 bis 70 € pro Monat zwei- bis dreimal so teuer wie beispielsweise Oxybutynin. In unabhängigen Standardwerken4 für Ärzte gilt Solifenacin nicht als erste Wahl. Nicht zu unterschätzen sind seine unerwünschten Wirkungen: sehr häufig Mundtrockenheit, häufig Übelkeit, Bauchschmerzen oder Verstopfung. Vor allem bei längerer Einnahme können sogar die geistige Leistungsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Gedächtnis beeinträchtig werden.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2010 / S.16