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© PORNCHAI SODA/ iStockphoto.com

Wenn die Muskeln schmerzen

Welche Rolle spielen Statine wirklich?

Wie häufig verursachen Cholesterinsenker aus der Gruppe der Statine tatsächlich Muskelschmerzen? Diese Frage wird seit Langem kontrovers diskutiert. Zwei neue Studien liefern weitere Puzzleteile zu einer möglichen Antwort – und verblüffende Ergebnisse.

Das Rätsel beschäftigt die medizinische Wissenschaft schon seit einiger Zeit: Warum berichten Patient:innen, die Cholesterinsenker aus der Gruppe der Statine einnehmen, im Alltag so oft über Muskelschmerzen? Und so viel häufiger, als es aus gut gemachten Studien bekannt ist, bei denen die Teilnehmenden nicht wissen, ob sie ein Statin oder ein Scheinmedikament (Placebo) bekommen? Und auch dann, wenn es keine Anhaltspunkte für eine Muskelschädigung gibt, etwa einen deutlichen Anstieg des Enzyms Kreatinkinase im Blut?1

Warum?

Erklärungsversuche für diese Diskrepanz gibt es viele: Einerseits zum Beispiel, dass an den gut gemachten Studien die Statine verträglicher erschienen als im Alltag, weil die Teilnehmenden nicht unbedingt den typischen Patient:innen entsprachen, was etwa Alter, Vorerkrankungen oder die Einnahme anderer Medikamente angeht. In einigen Untersuchungen wurden diejenigen, die Statine schlecht vertrugen, bereits am Anfang aussortiert. Auch das würde die Nebenwirkungen der Statine unterschätzen.

Andererseits können Alltagserfahrungen oder methodisch schwächere Studien die Nebenwirkungen möglicherweise überschätzen. Denn nicht jeder Muskelschmerz bei Patient:innen, die Statine einnehmen, wird auch tatsächlich durch das Medikament verursacht. Und vermehrte Berichterstattung in den Medien könnte ebenfalls die Wahrnehmung von Beschwerden beeinflussen.

Schwierige Abwägung

Dass es bisher keine zufriedenstellende Antwort auf die offenen Fragen gab, hat für Patient:innen ganz praktische Konsequenzen: Denn dann fällt die individuelle Abwägung schwer, ob der Nutzen der Statine (siehe Kasten rechts) die unerwünschten Effekte aufwiegt. Und es macht auch Überlegungen schwierig, was zu tun ist, wenn während der Statin-Einnahme Muskelschmerzen auf­fallen.

Im Wechsel

Zwei neuere Studien aus Großbritannien liefern jetzt neue Erkenntnisse. Sie nutzten dabei ein Studiendesign, mit dessen Hilfe sich die Auswirkungen des Statins auf einzelne Patient:innen testen ließ. Die Teilnehmenden – 60 in der einen,2 200 in der anderen Studie3 – hatten zuvor bereits ein Statin eingenommen, die Behandlung aber wegen Muskelschmerzen abgebrochen. Sie bekamen in zufälliger Reihenfolge für einen bestimmten Zeitraum erneut ein Statin, vorher oder anschließend ein Placebo, in der kleineren Studie außerdem auch für einen Zeitraum gar keine Tabletten. Ob sie gerade ein Statin oder ein Scheinmedikament einnahmen, wussten die Patient:innen nicht. In allen Zeiträumen notierten sie, wie stark eventuell auftretende Muskelbeschwerden waren. Bei unerträglichen Beschwerden konnten sie das Medikament für den aktuellen Zeitraum absetzen.
Auch wenn es zwischen den Studien kleinere Unterschiede gab, kamen sie doch zu einem sehr ähnlichen Ergebnis: Nur sehr wenige Teilnehmende hatten in der Statin-Phase tatsächlich stärkere Beschwerden als in der Placebo-Phase. Bei den allermeisten Patient:innen waren die Muskelschmerzen also in Wirklichkeit nicht durch das Statin verursacht. Einige hatten sogar mit Placebo mehr Beschwerden als mit dem Statin.

Erwartung von Schaden

Die Wissenschaftler:innen der beiden Studien werten die Ergebnisse als starke Hinweise auf einen „Nocebo“-Effekt: Schon eine negative Erwartungshaltung kann tatsächliche Beschwerden hervorrufen – vielleicht reicht da schon ein Hinweis in der Apotheke auf mögliche Nebenwirkungen oder der Erfahrungsbericht des Nachbarn. Das bestätigt auch eine Analyse in der kleineren Studie: Mit Placebo berichteten die Patient:innen über deutlich stärkere Muskelschmerzen als in der Phase ganz ohne Tabletten.

In den beiden Studien erhielten die Patient:innen im Anschluss eine persönliche Auswertung. Viele beschlossen daraufhin, es noch einmal mit einem Statin zu probieren.

Weitere Fragen offen

Leider können die beiden Studien nicht alle Fragen beantworten. So haben die Forschungsteams nicht anhand der Blutwerte überprüft, ob sich auch objektive Anzeichen für eine Muskelschädigung finden – zum Beispiel bei denjenigen, die tatsächlich mit dem Statin mehr Beschwerden hatten als mit Placebo. Getestet wurde in beiden Studien das Mittel Atorvastatin in einer Dosis von 20 mg (das entspricht einer mittleren Dosis), aber keine anderen Wirkstoffe aus der Gruppe der Statine und keine anderen Dosierungen. Inwieweit diese Faktoren einen Einfluss auf Muskelschmerzen haben, lässt sich anhand der beiden Untersuchungen also nicht abschätzen.

Was tun?

Die Ergebnisse der beiden Studien bestätigen auch das Vorgehen, das bei Muskelschmerzen während einer Statin-Behandlung üblicherweise empfohlen wird: Arzt oder Ärztin untersuchen zunächst, ob der Kreatinkinase-Wert im Blut erhöht ist und ob es mögliche andere Ursachen für Muskelschmerzen gibt, etwa andere Erkrankungen oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Wenn beides nicht der Fall ist, kann es bei starken Beschwerden dennoch sinnvoll sein, die Einnahme erst einmal zu unterbrechen. Wenn die Muskeln dann nicht mehr schmerzen, kann die Statin-Behandlung wieder begonnen werden, zunächst mit einer niedrigen Dosierung. Denn Muskelschmerzen können durchaus eine Frage der Dosis sein. Unter Umständen kann auch ein Wechsel des Statins hilfreich sein. Erfahrungsgemäß gibt es Patient:innen, die das eine Statin gut vertragen, das andere aber nicht.

Weniger sinnvoll ist es, auf andere Cholesterinsenker auszuweichen, deren Nutzen nicht gut belegt ist. Zumal viele von ihnen ebenfalls Muskelschmerzen auslösen können.

Statine und Muskelschmerzen
GPSP 4/2017, S. 12

Nocebo-Effekt
GPSP 1/2018, S. 13

Statine bei Älteren
GPSP 4/2020, S. 12

Cholesterinsenkung
GPSP 2/2020, S. 4

Ezetimib
GPSP 6/2015, S. 25

Roter Reis
GPSP 5/2016, S. 9

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2021 / S.04