Weiße Speise
Das Gute in der Milch
Kaum ein Lebensmittel wird heute so kontrovers diskutiert wie Kuhmilch und Kuhmilchprodukte, wobei allerdings ethische Überlegungen und gesundheitliche Aspekte oft durcheinander gehen. Wir haben recherchiert, was an der Milch dran ist.
Lange galt die Milch als Garant für Gesundheit und Stärke. Inzwischen gibt es immer mehr Stimmen, die behaupten, dass Milch gefährlich sei, dick und krank mache und nur für Kälber die richtige Kost sei. Diverse Vorbehalte ranken sich um die nährreiche Flüssigkeit und halten sich in Zeiten des Internets hartnäckig. So soll Milch voll mit Hormonen und Antibiotika sein, Osteoporose fördern, die Atemwege verschleimen und Allergien und Krebs verursachen. Sind die günstigen Wirkungen der Milch also Irrtum?
Was Milch bietet
Milch gilt bis dato unter Wissenschaftlern als besonders vielseitiges Nahrungsmittel, das den gesamten Nährstoffbedarf eines jungen Säugetiers oder Menschensäuglings deckt. Auch für Jugendliche und Erwachsene sind Milch und Milchprodukte ein schneller Energielieferant und dabei leicht verdaulich. Dazu kommt: Wer täglich ein großes Glas Milch trinkt oder einen Becher Joghurt löffelt und zwei bis drei Scheiben Käse isst, nimmt so viel Kalzium auf, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO (World Health Organization) oder die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfehlen – nämlich rund 1 Gramm.1
Kein echter Durstlöscher
Milch gilt – obwohl flüssig – nicht als Durstlöscher, sondern als gut sättigendes Lebensmittel .Sie enthält dementsprechend reichlich Kalorien, und zwar je nach Fettgehalt zirka 50-60 Kilokalorien pro 100 Milliliter. Zum Vergleich: Dieselbe Menge gezuckerte Cola hat etwa 46 kcal, aber wenig Gutes zu bieten.
Inhaltsstoffe unter der Lupe
Milch besteht zu 87 % aus Wasser.
Dazu kommen Inhaltsstoffe, die ihren besonderen Wert als Nahrungsmittel ausmachen. In den verschiedenen Milchprodukten sind sie unterschiedlich stark vertreten.
Mineralien: Neben Magnesium,
Zink und Jod – aus angereichertem Tierfutter – ist der wichtigste Mineralstoff das Kalzium. 40% seines Bedarfs deckt der Durchschnittsdeutsche mit Milchprodukten ab. Fast alles davon wird in die Knochen eingebaut, der kleine Rest in Zähne und Gewebe.
Eiweiß: Vollmilch enthält etwa 3,4% Proteine, die unter anderem für das Sättigungsgefühl sorgen. Das Kuhmilchprotein Kasein ist dem menschlichen Kasein sehr ähnlich. Es liefert uns zusammen mit den anderen Milchproteinen fast alle unentbehrlichen („essenziellen“) Aminosäuren. Während Kasein nach der Käseherstellung im Käse steckt, verbleiben die Molkenproteine in der Molke. Sie gehören zu den Proteinen mit der höchsten biologischen Wertigkeit und zu den „raschen“ Proteinen, da ihre essenziellen Aminosäuren schnell ins Blut gelangen (siehe Kasten).
Molkenproteine stimulieren den Muskelaufbau besonders stark und fördern über den Wachstumsfaktor IGF-1 das Längenwachstum bei 12- bis 18-jährigen Jugendlichen.2
Fette: Der natürliche Fettgehalt von Kuhmilch liegt bei etwa 4,2 %. Im Verkauf ist er je nach Sorte niedriger. Der Fettbestandteil wirkt sich auf den Geschmack und den Gehalt an fettlöslichen Vitaminen aus. Wer viel Milch trinkt und/oder übergewichtig ist, sollte diesen flüssigen Fettkonsum berücksichtigen. Wie viele und welche Fettsäuren ein Milchprodukt natürlicherweise enthält, hängt von Jahreszeit und Futter ab. So geben etwa Kühe, die viel Grünfutter fressen, Milch mit mehr konjugierten Linolsäuren und Omega-3-Fettsäuren. Beide gehören zu den essenziellen Fettsäuren, die unser Körper nicht selbst herstellt.
Zucker: Die 4,8 % Milchzucker (Laktose) der Vollmilch liefern viel Energie, haben aber eine viel geringere Süßkraft als Haushaltszucker. Joghurt, Käse, Butter und Sauermilchprodukte enthalten deutlich weniger Laktose. Darum werden sie bei leichter Laktoseintoleranz oft vertragen (siehe unten).
Vitamine: Milch enthält fettlösliche Vitamine (A, D, E, K) und viele wasserlösliche Vitamine (B1, B2, B12, Folsäure, Biotin und Pantothensäure). Interessanterweise verursacht die übliche Verarbeitung bei frischer und pasteurisierter Milch nur einen Vitaminverlust von etwa 10 %. Bei länger haltbarer ESL-Milch (ESL = extended shelf life) sowie H-Milch gehen 20 bis 30 % der Vitamine verloren.
Lebensmittelsicherheit
Kuhmilch und ihre Produkte gehören zu den leicht verderblichen Lebensmitteln und können Krankheitserreger enthalten. Außerdem sind in der Tierhaltung viele Arzneimittel erlaubt und immer wieder kommen neue auf den Markt. Umfassende Kontrollen sind bei der Be- und Verarbeitung vorgeschrieben. So werden die Höfe auf rund 350 verschiedene Stoffe und ihre Rückstände getestet. Für Rückstände aus Arzneimitteln oder Umweltchemikalien in Lebensmitteln existieren in der Regel Obergrenzen, die einzuhalten sind.
Hin und wieder sorgen Rückstände in der Milch für Schlagzeilen: So wurden Spuren des Antibiotikums Chloramphenicol entdeckt, obwohl seit 1994 ein Anwendungsverbot in der Nutztierhaltung besteht. Die Quelle war möglicherweise importiertes Fischmehl – ein Tierfutterzusatz –, aber es könnten auch Verunreinigungen bei der Probennahme der Grund sein. Da das Antibiotikum sehr selten eine tödliche Blutbildungsstörung verursachen kann, darf es keinesfalls in Lebensmitteln vorkommen (Nulltoleranz). Das allerdings ist erfreulich: Antibiotikarückstände sind in den milchverarbeitenden Betrieben unerwünscht, da sie bei der Herstellung von Sauermilchprodukten wie Joghurt oder Kefir die Aktivität der Milchsäurebakterien stören.
Die Rohmilch ist unbehandelt. Es gibt sie direkt von einigen Bauernhöfen. Sie soll vollmundiger und aromatischer sein als behandelte Milch. Jedoch ist sie für Krankheitserreger ein optimales Nährmedium. Bei der Abgabe „ab Hof“ muss der Erzeuger die Kundschaft deshalb darauf hinweisen, die Milch vor dem Verzehr abzukochen. Das Robert Koch-Institut (RKI) rät wegen der riskanten Keimbelastung vom Verzehr ab.3,4 Auch wenn es Hinweise gibt, dass Bauernhofkinder, die mit unbehandelter Milch groß werden, deutlich weniger Atemwegsallergien haben,5 sollten insbesondere Schwangere, Alte und Menschen mit Immunschwäche auf Rohmilch verzichten.
Die Vorzugsmilch wird nicht erhitzt, sondern per Mikrofilter gereinigt. Dabei werden Bakterien herausgesiebt. Vorzugsmilch unterliegt strengen mikrobiologischen Kontrollen. Ihr Verkauf muss vom Veterinäramt genehmigt sein. Es gibt sie auch im Supermarkt. Sie muss innerhalb von vier Tagen verbraucht werden, wenn sie nicht abgekocht wird.
Ist Biomilch gesünder?
Ob Biomilch deutlich gesünder ist, bleibt fraglich. Offenbar scheint biologisch produzierte Milch keinen relevanten Gesundheitsvorteil zu bieten, da ihre Inhaltsstoffe von der konventionell erzeugten kaum abweichen. Wer jedoch gegen Massentierhaltung und für die Klimabilanz ein Zeichen setzen möchte, liegt bei Biomilch allemal richtig. Und allgemein enthalten Produkte aus der biologischen Landwirtschaft weniger Pestizidrückstände als konventionelle Erzeugnisse.6
Verträglichkeit
Seit rund 10.000 Jahren ist Milch in Mittel- und Nordeuropa nach und nach Bestandteil der Ernährung geworden: Die Menschen entdeckten Milch als leicht zugängliche Energiequelle. Milchtierhaltung und Tierzucht nahmen ihren Anfang. Parallel setzten sich im menschlichen Erbgut Mutationen für ein Enzym durch, das die Verdauung von Laktose ermöglicht. Die Fähigkeit, Laktase zu bilden, macht es möglich, über das Babyalter hinaus ein Leben lang Milch zu trinken.
Laktoseintoleranz (Milchzuckerunverträglichkeit): Heute sind in Europa und den westlichen Industrieländern die Laktoseintoleranten in der Minderheit: Nördlich der Alpen fehlt nur 5 % der Menschen körpereigene Laktase. Dieses Enzym spaltet die Laktose in verträgliche Zuckerstoffe. In Deutschland haben ungefähr 15 % der Menschen zu wenig oder keine Laktase (siehe GPSP 3/2011, S. 3) und reagieren auf zu viel Kuhmilch mit Blähungen und Bauchkrämpfen. Weltweit vertragen etwa 70% den Milchzucker nicht. Die meisten leben in Asien, Südamerika und Afrika.
Allergien und Diabetes: Das Kuhmilcheiweiß Kasein löst bei etwa 2% der Kinder und bei 1% der Erwachsenen eine echte Allergie aus. Sie ist also viel seltener als die Laktoseintoleranz und verliert sich oft bis zum sechsten Lebensjahr. Hinweise, nach denen Verarbeitungsschritte wie Homogenisieren oder Erhitzen das Allergierisiko erhöhen, sind durch Studien nicht überzeugend belegt. Das gilt auch für das Auslösen von Diabetes.7,8
Verschleimen: Die Galaktose der Milch wird „Schleimzucker“ genannt. Dennoch gibt es keine Hinweise, dass Milchgenuss in den Atemwegen zu einer ungünstigen Schleimbildung führt.
Osteoporose
Die Mehrzahl der Osteoporose-Studien findet einen positiven Zusammenhang zwischen Milchkonsum und Knochengesundheit, nur wenige zeigen einen negativen Effekt. Auf den ersten Blick verwundert, dass ausgerechnet in westlichen Industrieländern mit einem hohen Konsum von Milchprodukten mehr Menschen an Osteoporose erkranken als anderswo. Dabei trägt Kalzium doch nachweislich zur Knochengesundheit bei.
Die mögliche Erklärung: Wer bis Mitte 30 viel Milch trinkt oder Quark, Joghurt und Käse isst, kann dichtere, stabilere Knochen bekommen. Dies scheint später jedoch nur einen gewissen Schutz vor Knochenbrüchen zu bieten, da viele andere Faktoren mitwirken. So beeinflusst neben den Genen und dem Alter auch die Lebensweise, wie stark die Knochendichte mit den Jahren abnimmt und ihre Mikroarchitektur sich verschlechtert.9 Ungünstig sind vor allem zu wenig Bewegung, Rauchen, Alkohol, zu viel Salz und Phosphor (in Cola und Schokolade), und mangelnde Vitamin D-Bildung durch wenig Sonnenlicht.10,11 Was günstig ist, hat GPSP ausführlich beschrieben (GPSP 4/2011, S. 4)
Krebs
Es gibt Hinweise, dass einzelne Inhaltsstoffe von Milch bestimmte Krebsarten verringern, andere Krebsarten aber fördern könnten. Kalzium etwa kann womöglich eine Entartung von Zellen verhindern, indem es deren programmierten Zelltod (Apoptose) beschleunigt. Diese günstige Aktivierung der Apoptose wird auch bestimmten Milchproteinen zugeschrieben.
Aus Vergleichsstudien von Menschen mit viel und wenig Milchkonsum geht hervor, dass Milch das Dick- und Enddarmkrebsrisiko wahrscheinlich mindert. Das gilt möglicherweise auch für Blasenkrebs. Für einen gewissen Schutz sprechen große Übersichtsarbeiten.12,13
Bei vielen anderen Krebsarten ist die Situation unklar. Derzeit wird diskutiert, ob ein Zuviel an Milchprodukten möglicherweise Prostatakrebs fördert. Weil das an einer zu hohen Aufnahme von Kalzium liegen könnte, sollten Männer sicherheitshalber nicht so viel Milch bzw. Milchprodukte zu sich nehmen. Allerdings: Nur manche Studien finden einen Zusammenhang zwischen mehr als einem Liter Milch täglich und einem leicht erhöhten Risiko für Prostatakrebs. Andere Studien nicht.14
Was bleibt?
Milch ist ein facettenreiches Nahrungsmittel, das einen hohen Nährwert hat und mit seinen zahlreichen Inhaltsstoffen auf vielfältige Weise auf unseren Körper Einfluss nimmt. Ihr gesundheitlicher Wert im Vergleich mit Junkfood ist unumstritten. Medizinisch gesehen ist die Studienlage aber unbefriedigend. Das ist umso bedauerlicher als Milch und traditionelle Milchprodukte in jüngster Zeit oft unter Beschuss geraten sind. Die Lebensmittelwirtschaft verdient an diesem Imageschaden der Milch und wirbt mit scheinbar wertvolleren Produkten. Sie bietet zum Beispiel eine „bekömmliche“ Milch ohne Laktose an und erzielt damit hohe Umsätze. Sogenannte Minus-L-Produkte, die fast keine Laktose mehr enthalten, sind viel teurer, obwohl ihre Produktion relativ simpel ist. Ihnen wird lediglich das Enzym Laktase zugesetzt. Fälschlicherweise denken viele Leute aufgrund der zahlreichen laktosefreien Produkte, dass normale Milch problematisch sein muss. Auch fettreduzierte ist Milch nicht empfehlenswerter. Milch sollte man generell nicht als Durstlöscher missverstehen.
Aktiv für stabile Knochen: GPSP 4/2011, S. 4
Stand: 7. September 2016 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2016 / S.04