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Tabletten bei Typ-1-Diabetes?

Was bringt die Insulin-Ergänzung mit Dapagliflozin?

Seit letztem Jahr gibt es für übergewichtige Menschen mit Typ-1-Diabetes neben Insulin eine ergänzende Behandlungsoption mit Tabletten. Ihr Wirkstoff heißt Dapagliflozin. Dieser zeigt hier jedoch nur einen sehr begrenzten Nutzen und birgt einige Gefahren.

Aktualisierungshinweis: Seit Oktober 2021 ist Dapagliflozin bei Typ-1-Diabetes nicht mehr zugelassen.

Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes, der in der Regel bereits im Kindes- oder Jugendalter entdeckt wird, produziert die Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr. Deshalb müssen sie mehrmals am Tag Insulin spritzen, um den Blutzuckerspiegel zu senken und Folgekomplikationen zu vermeiden. Das kann zum Beispiel eine Schädigung der Nieren oder der Augen-Netzhaut sein. Wenn die Arterien oder die Nerven in Mitleidenschaft gezogen sind, können Gewebeschäden entstehen, die unter Umständen Amputationen, häufig an den Zehen, notwendig machen.

Bislang war Insulin bei Typ-1-Diabetes die einzige Behandlungsmöglichkeit. Seit Anfang 2019 ist jedoch auch ein Mittel in Tablettenform verfügbar, es soll bei Übergewichtigen die Insulin-Behandlung ergänzen. Ist das tatsächlich eine sinnvolle Zusatzbehandlung? Wir haben uns das genauer angesehen.

Zucker ausscheiden

Der Wirkstoff Dapagliflozin war bislang nur für Patienten mit Typ-2-Diabetes zugelassen. Bei dieser Diabetesform sind die Körperzellen unempfindlicher für Insulin. Darum wird weniger Zucker in die Zellen aufgenommen und der Blutzuckerspiegel steigt. Dapagliflozin und damit verwandte Wirkstoffe wie Empagliflozin erhöhen die Zucker­ausscheidung über die Nieren und senken so den Blutzucker. Anders als bei anderen Diabetesmitteln in Tablettenform ist das ein Wirkungsmechanismus, der zumindest theoretisch auch bei Typ-1-Diabetes funktioniert.

Probleme bei Übergewicht

Bei Typ-1-Diabetes ist Dapagliflozin zusätzlich zu Insulin jedoch nur bei Menschen zugelassen, die übergewichtig sind (BMI von mindestens 27 kg/m2) und bei denen trotz optimierter Insulintherapie die Blutzuckerspiegel zu hoch sind. Der Hintergrund: Bei einer Insulinbehandlung kann das Gewicht ansteigen, was wiederum den Bedarf an Insulin erhöht. Die Behandlung mit Dapagliflozin soll in dieser Situation helfen, den Teufelskreis zu durchbrechen. Aber tut es das auch?

Begrenzte Erkenntnisse

Das haben im Rahmen der Zulassung zwei Studien mit insgesamt mehr als 1.600 Patientinnen und Patienten untersucht.1 Sie wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen geteilt: Die eine erhielt Dapagliflozin, die andere ein Scheinmedikament (Placebo). Am Ende der Studien wurde dann verglichen, wie sich der Langzeit-Blutzuckerwert HbA1c entwickelt hatte.

Nach 24 Wochen senkt Dapagliflozin im Vergleich zu Placebo den HbA1c-Wert im Mittel um rund 0,4 Prozentpunkte. Bei längerer Beobachtung über 52 Wochen schwächte sich dieser ohnehin geringe und vermutlich wenig relevante Effekt jedoch ab.2,3 Körpergewicht und Blutdruck sanken durch die Einnahme von Dapagliflozin ebenfalls geringfügig.

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Was nicht untersucht wurde

Was angesichts der eher geringen Verbesserungen interessiert: Sinkt dadurch auch das Risiko für Folgeerkrankungen? Leider wurde das nicht untersucht – und hätte sich bei der kurzen Beobachtungszeit von einem Jahr vermutlich auch gar nicht gezeigt. Diese Frage ist für Menschen mit Diabetes jedoch deutlich relevanter als die geringen Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel.

Und die Risiken?

Was wir allerdings wissen: Dapagliflozin kann Probleme bereiten. In den Zulassungsstudien fielen vor allem vermehrtes Wasserlassen sowie Infektionen der Harnwege, zum Beispiel Blaseninfektionen, sowie Pilzbefall der Scheide oder am Penis auf.

Diese Nebenwirkungen lassen sich durch den Wirkungsmechanismus von Dapagliflozin erklären: Wenn der Urin mehr Zucker enthält, wird gleichzeitig auch mehr Wasser ausgeschieden. Und durch den höheren Zuckergehalt bekommen Mikroorganismen, die sich stets in den Harnwegen oder im Intimbereich aufhalten, mehr „Futter“. Außerdem mussten die Teilnehmenden in den Studien mit Dapagliflozin häufiger Übelkeit und Erbrechen hinnehmen.

Gefährliche Entgleisung

Zu den riskanteren Nebenwirkungen von Dapagliflozin gehört die diabetische Ketoazidose. Sie kann sich entwickeln, wenn der Körper für die Energiegewinnung statt Zucker Fett abbaut. Dabei entstehen die sogenannten Ketone, die den pH-Wert des Blutes in den sauren Bereich verschieben. Bei einer Ketoazidose kann es zu Bauchschmerzen, Müdigkeit, Verwirrtheit und Bewusstlosigkeit kommen, im schlimmsten Fall kann sie sogar tödlich verlaufen. Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes steigt die Gefahr für eine Ketoazidose etwa, wenn sie zu wenig Insulin spritzen, sich überanstrengen oder akut zum Beispiel an einer Infektion erkranken. Bekannt ist das Problem aber auch als Nebenwirkung von Dapagliflozin und verwandten Wirkstoffen, wobei der genaue Mechanismus noch unklar ist. Sowohl die US-amerikanische als auch die europäische Arzneimittelbehörde haben in der Vergangenheit mehrfach vor diesem Risiko gewarnt.4

Sicherheitsauflagen

In den Zulassungsstudien kam es nur bei einigen wenigen Patientinnen und Patienten zu einer Ketoazidose. Der Anteil war bei Einnahme von Dapagliflozin gegenüber Placebo deutlich höher. In den USA wurde Dapagliflozin wegen des Ketoazidose-Risikos nicht für Typ-1-Diabetes zugelassen, und in Europa wurde die Zulassung auf Menschen mit Übergewicht beschränkt.

Zusätzlich müssen Patientinnen und Patienten, die mit Dapa­gliflozin behandelt werden, von Arzt oder Ärztin eine Merkkarte erhalten, auf der sich die wichtigsten Anzeichen einer Ketoazidose sowie Hinweise zur regelmäßigen Bestimmung der Ketonkörper finden. Verpflichtend ist auch die Aushändigung einer ergänzenden Broschüre, in der es Hintergrundinformationen gibt, wie sich Ketoazidosen vermeiden oder frühzeitig erkennen lassen.

Was hilft’s?

In der frühen Nutzenbewertung hat Dapagliflozin eine verhalten positive Bewertung bekommen. Zwar bewertete auch der Gemeinsame Bundesausschuss die bessere Senkung des Blutzuckers als nur grenzwertig relevant. Weil aber das Risiko für Ketoazidosen in dieser Auswertung statistisch nicht eindeutig erhöht war und die häufigeren Infektionen des Intimbereichs und die Magen-Darm-Beschwerden als nicht so schwerwiegend eingestuft wurden, fiel die Gesamtabwägung schwach positiv aus.6

Unsere Mutterzeitschrift arznei-telegramm® rät dagegen wegen des Ketoazidose-Risikos und des unsicheren Nutzens von der Anwendung ab.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2020 / S.10