Zum Inhalt springen
©Elke Brüser

Testosteron soll’s richten

Wieder ein Trend, der aus den USA über den großen Teich zu uns schwappt: Immer mehr Männer hoffen, sie könnten sich mit Hormonen etwas Gutes tun. In vielen Köpfen hat sich festgesetzt, dass ein niedriger ­Testosteronspiegel jene Beschwerden verursacht, die Männer im Alter plagen. Wir befragten dazu Robin Haring, ob eine Hormontherapie Sinn macht, fragten ihn nach konkreten Nutzenbelegen, den Risiken und danach, was ältere Männer fit hält.

GPSP: Männer, deren Hoden durch eine Drüsenerkrankung oder nach Krebs nicht genügend Testosteron produzieren, profitieren von einer Hormontherapie. Aber was erhoffen sich Männer, die keine solche Erkrankung haben von Testosteronpräparaten?

Robin Haring: In der Tat ist die Testosterontherapie traditionell auf sehr wenige Erkrankungen beschränkt. Dass sie stark zunimmt, muss man in Zusammenhang mit jenen neuen Krankheitsbildern sehen, die als „Aging Male Syndrom“ oder „Late Onset Hypogonadismus“ bezeichnet werden.

GPSP: Welche Beschwerden fallen denn darunter?

Robin Haring: Die genannten Symptome sind oft weitverbreitete Altersbeschwerden wie verminderte Vitalität, Schlafstörungen, Unausgeglichenheit, Gewichtzunahme, geringere Muskelmasse, Libidoverlust oder Erektions- und Potenzstörungen.

GPSP: Und diese Probleme werden neuerdings nicht dem biologischen Alterungsprozess zugerechnet, sondern einem Testosteronmangel?

Robin Haring: Ja, die Verknüpfung typischer Altersbeschwerden mit niedrigem Testosteronspiegel ist tatsächlich neu. Allerdings ist dabei gar nicht klar, ob es sich um ein klinisches Krankheitsbild handelt oder – mal drastisch formuliert – um eine Marketingstrategie.

GPSP: Nützen Männern mit derlei Beschwerden Testosteronpräparate überhaupt?

Robin Haring: Darauf gibt es derzeit keine klare Antwort. Denn wir haben zwei grundlegende Probleme.

GPSP: Schießen Sie los!

Robin Haring: Problem Nummer eins ist, dass es zwischen den genannten Beschwerden und dem Testosteronspiegel überhaupt keinen eindeutigen Zusammenhang gibt. Viele Männer um die Fünfzig und älter berichten von unerwünschten körperlichen Veränderungen, Antriebsmangel und Potenzverlust ohne einen unterdurchschnittlichen Testosteronspiegel. Andererseits haben Männer mit Testosteronspiegeln im unteren Bereich nicht automatisch die Probleme, die etwa als „Andropause“ auch in der Tagespresse oft Thema sind.

GPSP: Der ursächliche Zusammenhang zwischen den Beschwerden und dem Testosteronspiegel ist also nicht belegt. Und was ist Problem Nummer zwei?

Robin Haring: Die Nutzenbelege fehlen. Ein Therapieerfolg würde bedeuten, dass eine Testosteronsupplementation, also eine zusätzliche Hormongabe, eben diese Beschwerden behebt. Aber genau das konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Die Zusammenfassung der vorhandenen Studien in Metaanalysen oder anderen Übersichtsarbeiten ergibt eher folgendes Bild: Weder in Hinblick auf die Lebensqualität, Lebensdauer, sexuelle Zufriedenheit noch die körperliche Mobilität zeigt die Supplementierung eindeutige Effekte.

GPSP: Das spricht nicht gerade für die Anwendung von Testosteron, das ja vielfältig in den Organismus eingreift.

Robin Haring: Stimmt. Um zu wissen, wem es wirklich nützen könnte, fehlen große, unabhängige Langzeitstudien. Derzeit ist die Beweislage eher mangelhaft, was auch daran liegt, dass bisherige Studien unterschiedliche Dosierungen, Behandlungen – es gibt Injektionen, Tabletten, Gel und Pflaster – und Laufzeiten der Therapie untersucht haben. Außerdem waren die Männer in den Studien unterschiedlich alt und unterschiedlich stark gesundheitlich vorbelastet.

GPSP: Aber obwohl Nutzenbelege fehlen, hat sich in den USA die Zahl der Anwender innerhalb von drei Jahren verdoppelt. Wie kommt’s?

Robin Haring: Wir sehen dort zum Beispiel ganzseitige Werbeanzeigen, die potenzielle Konsumenten direkt ansprechen, also in diesem Fall Männer, die als Ursache körperlicher oder psychischer Probleme einen niedrigen Testosteronspiegel verdächtigen. In diesem Zuge hat sich der Begriff „Low T“ als griffiges Marketingschlagwort durchgesetzt. Inzwischen gibt es viele so genannte Low T Center, die sich auf eine Testosteronbehandlung dieser Männer spezialisiert haben.

GPSP: Auch Ärzte unterliegen dem Einfluss des Pharmamarketings und blenden womöglich die Risiken aus. Welche könnten das sein?

Robin Haring: Wir können da noch kein endgültiges Fazit ziehen. Aus Metaanalysen lässt sich ablesen, dass zumindest kein Zusammenhang zwischen einer Testosteronbehandlung und Prostatakrebs besteht. Offenbar erhöht die künstliche Testosterongabe auch nicht den PSA-Blutspiegel. Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist die Situation ganz ähnlich. In einzelnen Studien kam es vermehrt zu Schlaganfällen oder Herzinfarkten, aber in der Gesamtschau erhöht Testosteron das Risiko von Herz-Kreislauf-Ereignissen nicht.

GPSP: Anderseits warnt die kanadische Behörde Health Canada vor solchen Schäden, und die US-amerikanische FDA hat sich dazu intensiv beraten. 19 von 21 Experten sahen Hinweise für solche Risiken.2

Robin Haring: Am Ende hat sich die US-Behörde dennoch dagegen entschieden, der Industrie vorzuschreiben, auf den Medikamentenpackungen explizit vor Herz-Kreislauf-Risiken zu warnen.

GPSP: Verbraucherschützer 3 werfen der Behörde vor, die Interessen der Pharmafirmen zu schützen. Und sie verweisen darauf, dass industrieunabhängige Studien höhere Risiken ausmachen als von der Pharmaindustrie finanzierte Studien. Wie bewerten Sie das?

Robin Haring: Tatsächlich hat eine wichtige Publikation das kürzlich berichtet.4 Übrigens kommt die europäische Arzneimittelagentur EMA nach eingehender Prüfung auch zu dem Schluss, dass eine Testosterontherapie kein eindeutig erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko birgt. Trotzdem müssen die Medikamentenhersteller zusätzliche Warnhinweise aufnehmen.

GPSP: Bei der Hormontherapie von Frauen in den Wechseljahren wurden lange Zeit die Risiken heruntergespielt und erst unabhängige Studien setzten dem Treiben ein Ende. Sehen Sie da eine Parallele?

Robin Haring: Auf jeden Fall. Die Forschungsgeschichte und Erfahrungen rund um die Östrogentherapie kann man durchaus als Blaupause für das betrachten, was derzeit bei den Männern passiert. Auch damals wurden viele Frauen ohne klare wissenschaftliche Belege therapiert. Dabei wurde der Nutzen über viele Jahre hinweg überbewertet und die Risiken unterschätzt.

GPSP: Mit der Folge, dass viele Frauen von der Hormontherapie nichts mehr wissen wollen. Der Schaden für manche war hoch. Droht ein solches Fiasko auch beim Testosteron?

Robin Haring: Ja, ein ganz ähnliches Bild zeigt sich heute bei den Männern: Viel Therapie, aber keine Evidenz. Analog zur WHI-Studie bei den Frauen, bräuchte es auch aufseiten der Männer eine umfassende und unabhängige Langzeitstudie. Aber es ist nicht mal eine solche Studie geplant, die endlich Klarheit schaffen könnte.

GPSP: Das US-amerikanische Magazin „Time“ sprach von einem „massiven wissenschaftlichen Experiment mit unbekannten Risiken“.5

Robin Haring: Das halte ich auch nicht für eine Übertreibung.

GPSP: Kommen wir auf Ihre Forschung zu sprechen. Sie waren ganz maß­geblich an einer Aus­wertung zu den Risiken eines niedrigen ­Testosteronwerts anhand von ­Daten aus einer Bevölkerungsstudie be­teiligt.6 Was kam dabei heraus?

Robin Haring: Zunächst wurde deutlich, dass Männer mit geringen Spiegeln ein höheres Risiko haben, ein metabolisches Syndrom oder einen Diabetes Typ II zu entwickeln und sogar früher sterben. Aber das sind nur statistische Zusammenhänge. Auf der Suche nach den Ursachen haben unsere Auswertungen ergeben, dass niedrige Testosteronspiegel im Wesentlichen nur eine Begleiterscheinung von Übergewicht, Bewegungsmangel, Fehlernährung und einem insgesamt ungesunden Lebensstil sind. Und dementsprechend sehen wir auch, dass Männer mit einem gesunden Lebensstil und geringer Belastung durch Herz-Kreislauf-Risikofaktoren, egal in welchem Alter, keinen auffällig niedrigen Testosteronspiegel haben.

GPSP: Aber der Wert nimmt mit den Jahren kontinuierlich ab? Ist er nicht doch für Beschwerden älterer Männer zuständig?

Robin Haring: In der Regel nicht. Zwar erreicht der Testosteronspiegel mit 19 Jahren seinen Höhepunkt und sinkt dann ab, aber das ist biologisch. Darum ist der Spiegel in jedem Lebensabschnitt anders normal. Ein 50-Jähriger muss seinen Wert nicht mit einem 20-Jährigen vergleichen, sondern mit dem durchschnittlichen Wert der anderen 50-Jährigen. Dieser altersabhängige Referenzwert ist also entscheidend. Nur wenn jemand dort im unteren Bereich liegt und über eindeutige Beschwerden klagt, muss etwas unternommen werden.

GPSP: Und zwar?

Robin Haring: Zum Beispiel sind in Deutschland zwei von drei Männern übergewichtig. Da stellt sich bei niedrigem Testosteronspiegel und Altersbeschwerden zunächst nicht die Frage nach einer eventuell jahrelangen Hormontherapie, sondern es muss um einen gesunden Lebenswandel gehen. Nebenbei, je gesünder der Lebensstil, desto höher die Testosteronwerte.7 Aber es geht um viel mehr als einen intakten Testosteronspiegel, sondern um Lebenslänge und Lebensqualität im Alter.

GPSP: Was heißt gesunder Lebenswandel konkret?

Robin Haring: Mehr Bewegung, weniger Alkohol, eine ausgewogene Ernährung und ausreichend Schlaf. Das sollten die ersten Maßnahmen sein. Was allerdings besonders viele Männer in der Altersgruppe 50+ zum Arzt treibt, sind nicht etwa Übergewicht, Schweißausbrüche oder Konzentrationsschwächen, sondern Potenz- und Erektionsstörungen. Und die gehen in der Regel ebenfalls nicht auf Hormonmangel zurück.

GPSP: Sondern?

Robin Haring: Testosteron wird da überschätzt. Erneut sind Übergewicht und Rauchen die Hauptgründe, weil beide Faktoren die Blutgefäße verengen und so einen Großteil der Erektionsstörungen verursachen.
Übergewichtigen Rauchern hilft da kein Testosteron der Welt.

GPSP: Herr Haring, wir danken Ihnen für das klärende Gespräch.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2015 / S.19