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© ananaline/iStock

Depression: Placeboeffekt steigt?

Bei uns werden heute fünf Mal so oft Antidepressiva verordnet wie vor 20 Jahren. In den USA nimmt sie jeder Zehnte regelmäßig ein. Dabei ist es keine neue Erkenntnis, dass die Wirksamkeit von Antidepressiva gerade bei leichteren bis mittelgradigen Depressionen fragwürdig ist. Werden sie mit Placebos – also wirkstofffreien Mitteln – verglichen, dann wirken sie in jeder zweiten klinischen Studie nicht besser als ein solches Scheinmedikament.3

Dass bei solchen Vergleichen die Antidepressiva in den letzten Jahrzehnten zunehmend ungünstiger abschneiden, begründen Pharmahersteller mit einem gestiegenen Placeboeffekt. Und der soll es erschweren, die Überlegenheit der – angeblich so gut wirksamen – Medikamente nachzuweisen. Was tatsächlich dahintersteckt, fragt ein Artikel aus „Arzneiverordnung in der Praxis“ und nennt mögliche Hintergründe:1

Sprechen neuerdings mehr Menschen mit Depression auf Placebos an, dann kann das daran liegen, dass aktuelle Studien anders angelegt sind. Zum Beispiel werden Betroffene heutzutage häufiger interviewt, haben mehr Kontrolluntersuchungen und mehr Kontakt zu Studienmitarbeitern. All das bedeutet mehr Zuwendung, was bei einer Depression meist gut tut – egal ob mit Antidepressivum oder in der Kontrollgruppe mit Placebo.

Außerdem dauern die neueren Studien oft länger als früher, und mit der Zeit bessern sich Depressionen teilweise von selbst. Vor allem: Heutzutage nehmen mehr Menschen mit (nur) leichter Depression Antidepressiva ein. Beim Vergleich mit einer Studiengruppe, die Placebos erhält, dürften die Unterschiede dann minimal sein.

Und schließlich könnte es eine Rolle spielen, dass die ehemals viel verordneten trizyklischen Antidepressiva (GPSP 4/2015, S. 8) mehr bewirken – inklusive unerwünschter Effekte – als neuere Wirkstoffe aus der heute bevorzugten Gruppe der SSRI. Auch darum könnte der Unterschied zwischen Medikament und Placebo ehemals größer ausgefallen sein. Was sagt uns das? Bei der Behandlung von depressiven Menschen ist viel Luft nach oben. Es braucht wirksamere Arzneimittel, und es sollten alle möglichen Formen der Hilfe von Psychotherapie bis Sport besser ausgeschöpft werden.

Depressionen
GPSP
 1/2008, S. 12

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2019 / S.14