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Krebs mit Alternativmedizin behandeln?

Wer an Krebs erkrankt, versucht oftmals seine Heilungschancen mit alternativen Behandlungsmethoden zu verbessern. Wir fragten den Krebsmediziner Richard Greil, warum das problematisch sein kann.

GPSP: Was macht Krebskranke anfällig für haltlose Versprechen?

Die Krebsdiagnose schafft eine sehr schwierige Situation. Für einen Teil der Patienten ist das eine Erkrankung, die sie nicht gespürt haben, die sie nicht sehen können, die vielleicht ein Zufallsbefund ist. Der Arzt schreibt mir also eine Veränderung meines Lebens mit gravierenden Nachteilen vor – und ich habe vorher nichts gemerkt und kann mir das auch nicht erklären. Das führt zu Reflexionen über das eigene Leben und vor allem zu dem Versuch, dominant und aktiv zu werden gegenüber der Krankheit. Was kann ich also tun, damit ich aktiv wieder meine eigene Situation beherrsche?

Und hier kommt die Alternativmedizin in Spiel?

Ja. Dann ist da auch noch der Reiz des Irrationalen, was keiner Begründung, sondern nur des Glaubens bedarf. Der Onkologe klärt so gut wie möglich auf, aber die Patienten sind häufig nur teilweise in der Lage, diese Information überhaupt wahrzunehmen oder zu verstehen. Auf Grund dieses unglaublichen Stresses führt eine Krebsdiagnose oft zu einer Depression und diese auch zu einer vorübergehenden Einengung der kognitiven Fähigkeiten. Und in solchen belastenden Situationen greifen Menschen zu irrationalen Vorgehensweisen, die sie nicht begründen. Und gegenüber der kritischen Aufklärung eines Arztes, der immer sagen wird, wir können nicht voraussagen, ob die Wirkung eintreten wird, ist es faszinierend, wenn ihnen jemand sagt: „Wenn Sie das und das tun, dann garantiere ich Ihnen, dann verspreche ich Ihnen, dass das funktioniert. Und dass ich damit dann von anderen abgelehnt werde, bestätigt nur, dass ich Recht habe.“

Womit werben Alternativ­mediziner?

Es gibt eine unglaubliche Vielfalt dessen, was da angeboten wird in diesem alternativen Bauchladen. Einerseits das Versprechen der Natürlichkeit – ein Wort mit unglaublicher Verführungskraft! Was die Menschen nicht verstehen, ist: Dass die Natur zu einem wesentlichen Teil unser Feind ist und dass wir so lange leben wie wir jetzt leben, weil wir artifiziell leben. Und weil wir eben in einer artifiziellen Welt leben, verharmlosen wir die Natur und sehnen uns nach ihr.

Es gibt eine Reihe von alternativmedizinischen Verfahren, die Homöopathie eingeschlossen, die keineswegs natürlich sind. Manche muten auch sehr wissenschaftlich an und sind ein gutes Geschäft.

Ja, hier sehen wir ein Vortäuschen der technisierten Medizin. Das heißt, wir haben zum Beispiel hochtechnisch anmutende Blutanalysen, die ohne irgendeine Bedeutung sind. Zusammen mit den natürlich anmutenden Varianten steht Alternativmedizinern dann – je nach Neigung des Patienten – ein Werkzeug zur Verfügung. Und die Kunst der alternativen Ärzte und Heilpraktiker besteht darin, den Wunsch des Patienten zu erkennen und zu bedienen und nicht den schwierigen Weg komplexer Wahrheit und der vorgegebenen Unsicherheit des Ausgangs der Erkrankung beschreiten zu müssen. Es ist ja eine spezielle Begabung, die Verhaltensweisen von Menschen in existentieller Bedrohung zu erkennen und einen Vorteil daraus schlagen zu können.

Wie kann man als guter Arzt in dieser schwierigen Situation mit dem Patienten kommunizieren?

Was Menschen mit einer Krebserkrankung auch haben wollen, ist Hoffnung! Wir Krebs­ärzte sind aber gezwungen, den Patienten eine ganze Reihe von Dingen zu sagen, die ihnen unter Umständen die medizinische Hoffnung nimmt. Und das Interessante ist: Die Hoffnung von Menschen – die Erfahrung habe ich als Arzt gemacht – ist eine sehr eigenständige Grundvoraussetzung menschlichen Lebens, erst recht bedrohten Lebens. Sie fokussiert im Krankheitsverlauf auf unterschiedliche Ziele, adaptiert auf das Erreichbare (bei Beratung und Betreuung durch Onkologen). Aber auch, wenn kein spezifisches Ziel einer verbesserten Krankheitssituation mehr erreichbar ist, hält Hoffnung uns am Leben und wird immer dringender.

Also ganz am Beginn ist es der Wunsch, einfach gesund zu werden. Wenn das nicht mehr möglich ist, dann die Aussicht, dass der Tumor kleiner wird. Es gibt also immer die Frage: Welche Hoffnung kann ich diesem Patienten anbieten? Denn die Menschen müssen ja diesem Tag und diesen Stunden Sinnvolles und Erfüllendes abgewinnen können. Und oft können wir ihnen nicht mehr die Heilung anbieten, weil wir ihnen nicht leichtfertig etwas versprechen können. Aber dann dem Patienten trotzdem die Hoffnung zu geben, dass dieses Leben für ihn einen Sinn hat. Das ist äußerst schwierig für den Arzt, es erfordert Erfahrung und auch einen gewissen Charakter. Aber man kann sich natürlich auch sagen: Naja, das ist eines der größten Geschäftsfelder der Welt.

Die Alternative ist dann, Hoffnung zu verkaufen? Eine Therapie aus dem Hut zu zaubern, die angeblich irgendwie wirkt?

Der Wunsch bei den Patienten, irgendwas zu tun, ist überwältigend. Es gibt eine Untersuchung an jungen Frauen mit metastasiertem Brustkrebs. Zehn Prozent der Frauen sagen, sie würden eine hochinvasive Therapie für eine Woche Lebenszeitverlängerung machen. Obwohl kein vernünftiger Arzt das tun würde. Bei einer anderen Studie wurden Patienten gefragt, ob sie eine Bestrahlung durchführen würden, obwohl sie schon bestrahlt wurden und die Bestrahlung wirkungslos war und es wieder sein würde. Und die Patienten wollten das trotzdem machen lassen!

Was ist bei der Kommunikation noch zu beachten?

Man muss den Patienten sagen, dass sie nicht schuld an ihrer Erkrankung sind. Diese Neigung, sich selbst die Schuld zu geben, ist sehr hoch. Also der erste Befreiungsakt ist, zu sagen: „Es ist ein Unfall der Natur. Und gegen diesen Unfall der Natur gibt es Möglichkeiten sich zu wehren, und auf der anderen Seite gibt es Möglichkeiten damit umzugehen.“ Und beides muss man entsprechend wahrnehmen.

Welche Möglichkeiten sind das?

Es braucht eine sehr gute Aufklärung, hohe Kompetenz und gutes Einfühlungsvermögen bei einer guten Aufklärung. Überproportionale Versprechen sollten vermieden werden, sie können sich dann rächen, wenn die Patienten uns an einem „rainy day“ am meisten brauchen. Solange der Patient ein Heilungspotential hat, sollte man beachten:  Es ist wichtig, dass der Patient oder die Patientin die Eigenverantwortung für die Lebensführung erhält. Dass man sie nicht bevormundet, sondern, dass man ihre Kräfte unterstützt, ihre Beziehungs­systeme aufrechtzuerhalten oder sogar auszubauen. Oft gerät in so einer Situation auch ein gesamtes Leben auf den Prüfstand, und es ist hilfreich, dass man den Menschen in diesen Situationen sagt: Das ist auch eine wichtige Zeit und eine Chance, sich neu aufzustellen und dem Leben mehr Tiefe, mehr Sinn zu geben. Es ist auch wichtig, den Patienten zu zeigen, dass sie die eingeschränkten Möglichkeiten, die sie jetzt vielleicht haben, auch kompensieren können, wenn sie etwa aus dem was sie haben, mehr machen. Wenn ich weniger Zeit habe, dann muss ich diese Zeit mehr füllen. Dann muss ich die Beziehungen, die ich habe, sehr viel bewusster wahrnehmen.

Wie ist die Kommunikation, wenn die Heilungschancen minimal sind?

Die Menschen werden immer ambivalenter, je existenzieller bedroht sie sind. Also ich sag Ihnen ein typisches Beispiel: Wenn ein Patient schwer krank – und eigentlich nahe dem Ende – in seinem Bett liegt und dann sagt, er mag nicht mehr, er möchte einfach nur sterben. Dann warten Sie aus Respekt ein paar Sekunden, damit Sie nicht, wie aus der Pistole geschossen, eine Standard­antwort geben. Dann kommt ein paar Sekunden später seine Aussage: „Aber irgendwo auf der Welt muss es doch etwas geben, was mir noch helfen kann.“ Daher ist die Frage immer: Wo befindet sich der Patient in seiner Ambivalenz zum jeweiligen Zeitpunkt tatsächlich? Auch wird die Autonomie des Menschen am Ende immer kleiner, was sehr schwierig sein kann.

Das ist dann ein unfairer Wettbewerb, wenn in diesem Moment jemand kommt und Heilung verspricht.

Ja, genauso ist das. Und man darf nicht vergessen: Herangetreten wird an diese Patienten ja mit einer teilweise pastoralen Qualifikation. Also angefangen beim Handauflegen, Aura lesen und so weiter. Da werden also mit einem pseudoreligiösen Touch und viel Übung und Erfahrung Menschen in einer solchen vulnerablen Situation „angearbeitet“.

Können Sie ein paar Beispiele aus Ihrer Praxis nennen?

Aus meiner Erfahrung betreiben 80 Prozent der Patienten irgendwelche alternativen Maßnahmen. Vor allem bei jungen Menschen, die heilbare Erkrankungen haben, habe ich mehrfach erlebt, dass irgendwelche Wunderheiler dem Patienten anbieten, dass sie ihn gesund beten, aber sie dürfen keine Chemotherapie machen. Und ich kann Ihnen sagen, das war mehrmals die Todesursache. Die Menschen sterben unbehandelt, im Glauben, dass Gott sie gesund machen wird. Es gibt sogar Studien für den gesundheitlichen Effekt von Fremdbeten. Und die würden ja nicht gemacht, wenn nicht das Angebot so häufig angenommen werden würde.

Übrigens: Die „Wunderheiler“ leben oft gar nicht in Österreich oder in Deutschland, zum Teil funktioniert der Kontakt telefonisch oder mit Facebook. Aber dort entsteht einfach ein maximales Abhängigkeitsverhältnis, eine persönliche Hörigkeit, gegen die, wenn sie eingetreten ist, Sie als Arzt völlig chancenlos sind. Dann gibt es keine Annahme mehr von irgendeiner Kommunikation. Sie können mit diesem Menschen über gar nichts reden, er glaubt es einfach nicht. Das kommt immer wieder vor, nicht sehr häufig, aber es kommt vor.

Was kommt häufiger vor?

Wir haben gerade einen Patienten gehabt, der jetzt im letzten halben Jahr pro Monat 6.000 Euro ausgegeben hat, obwohl klar war, dass eine tumorkausale Therapie nicht mehr zweckmäßig beziehungsweise sinnvoll ist. Es gibt ganze Kliniken mit solchen Angeboten, wo aus aller Welt Leute hingekarrt werden, und wo man den sterbenden Patienten alle möglichen Dinge anbietet. Die Hoffnung ist einfach der größte Markt!

Auf der anderen Seite hatte ich vorgestern ein Gespräch mit einer dreißigjährigen Frau mit heilbarem Brustkrebs, und sie hat mir dann einen Brief vorgelegt von einem Arzt, der ihr paramedizinische und alternativmedizinische Verfahren verschreibt. In dem Brief hat der Arzt geschrieben, dass eine Chemotherapie „fast ein Verbrechen“ ist. Und dann war da alles mögliche Alternative drin, die ganze Liste: Vitamine, freie Radikalenfänger, alle möglichen Kräutersubstanzen – für tausende Euro im Monat. Und der Grund dafür ist – da kommen wir darauf zurück – aktiv etwas zu tun zu wollen. Ich habe mit dieser Patientin anderthalb Stunden gesprochen. Ich glaube, dass sie es nicht mehr machen wird.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2019 / S.19