Herzklappenerkrankungen
Warum werden die „Ventile“ im Herzen krank?
Herzklappen müssen extreme Belastungen aushalten. Allein im Laufe eines Tages öffnen und schließen sie achtzig- bis hunderttausendmal. Hochgerechnet auf das ganze Leben sind das über Zweimilliarden mal. Wie jedes Gewebe können Herzklappen auch verschleißen – und ihre Form ändern, verdicken, verkalken oder sogar einreißen.
Funktionsgestörte Herzklappen werden Vitien genannt (lat. vitium: Fehler). Schäden treten rascher auf, wenn eine Klappe bereits von Geburt an einen kleinen Fehler hat, oder im Laufe des Lebens besonderen Belastungen ausgesetzt ist, etwa Bluthochdruck, Rauchen und deutlich erhöhte Blutfette. Auch Herzklappenentzündungen, Bindegewebserkrankungen und eine Strahlentherapie im Bereich des Brustkorbes1 begünstigen Vitien, ebenso wie einige früher häufiger verordnete Medikamente.2,3
Einige Menschen kommen bereits mit Herzklappenfehlern zur Welt (GPSP 2/2017, S. 14). Ihr Herz hat sich im Mutterleib nicht richtig entwickelt. Schwere, angeborene Herzklappenfehler fallen schon im Säuglingsalter auf, leichtere oft erst im Laufe des Lebens.
Eine Gemeinsamkeit von fast allen Vitien ist, dass sie ein Herzgeräusch verursachen. Ärztinnen und Ärzte hören dann nicht nur das gewohnte bum-bum, sondern zusätzlich: pfffft-pfffft … pfffft.
Was sind die häufigsten Herzklappenfehler beim Erwachsenen?
Kleinere Klappenfehler haben viele von uns. Aber nur bei einem Teil entwickelt sich ein bedeutsames Vitium. Die Wahrscheinlichkeit hierfür steigt, je älter wir werden: Etwa einer von 10 Menschen über 75 Jahren hat Symptome, die von einem Klappenfehler verursacht werden. In Europa ist das am häufigsten eine Verengung der Aortenklappe (41%), gefolgt von einer Undichtigkeit an der Mitralklappe (21%).4 Verengungen werden als Stenose bezeichnet, Undichtigkeiten als Insuffizienz. Deutlich seltener sind Aortenklappeninsuffizienzen (5%), Mitralstenosen (4%) und Trikuspidalinsuffizienzen (2%). Jeder dritte hat Probleme an mehreren Klappen.
Hierzulande sind die Betroffenen im Mittel 70 Jahre alt, ein Viertel ist über 80. In warmen Ländern mit schlechten hygienischen Verhältnissen trifft es häufiger jüngere Menschen. Dort gibt es mehr bakterielle Infektionen der Herzklappen samt deren Folgeerkrankungen (rheumatische Vitien).
Woran spürt man Herzklappenfehler?
Betroffene spüren einen Leistungsknick und Atemnot bei körperlicher Belastung oder beim Bücken, Hustenreiz, Brustenge bei körperlicher Belastung, Herzrhythmusstörungen oder haben Ohnmachtsanfälle. Beinschwellungen und vermehrtes nächtliches Wasserlassen weisen auf eine begleitende Herzinsuffizienz hin. Da sich viele Klappenerkrankungen über eine lange Zeit entwickeln, schleichen sich die Symptome allmählich ein und werden lange gar nicht bemerkt oder als Altersgebrechen fehlinterpretiert.
Wie wird das alles untersucht?
Viele Vitien werden durch Abhören mit dem Stethoskop entdeckt. Je nachdem, wo auf dem Brustkorb das Geräusch am lautesten ist, lässt es sich oft schon einer Klappe zuordnen. Der Goldstandard zur Diagnose ist jedoch eine Ultraschalluntersuchung des Herzens. Mit dieser Echokardiografie können Ärztinnen und Ärzte nicht nur die korrekte Diagnose stellen, sondern auch den Schweregrad des Vitiums bestimmen. Manchmal sind weitere Spezialuntersuchungen erforderlich, wie Schluckechokardiografie (TEE), Magnetresonanztomografie (MRT) oder Herzkatheter.
Was kann getan werden?
Ein Klappenfehler erfordert regelmäßige Kontrolluntersuchungen („watchful waiting“) und eine individuelle Therapieplanung. Um die Dynamik des Verschleißes zu bremsen, sollte der Blutdruck gut eingestellt sein. In den meisten Fällen ist ein moderates Ausdauertraining zum Erhalt der körperlichen Fitness möglich – und ratsam. Medikamente, die eine Klappenerkrankung verbessern, gibt es nicht. Sie können jedoch die Symptome mildern.
Ob und wann eine weiterführende Behandlung nötig und sinnvoll ist und welche, etwa das Einsetzen einer künstlichen Herzklappe, hängt von vielen Faktoren ab. Das Spektrum der vielen Reparaturverfahren reicht dabei von minimal invasiven Eingriffen über die Leiste bis hin zur offenen Herzchirurgie an der Herz-Lungen-Maschine. Wichtigste Entscheidungskriterien sind anatomische und technische Aspekte, die Haltbarkeit des Reparaturverfahrens und die Belastbarkeit der Patient:innen für einen größeren chirurgischen Eingriff.

Eine interdisziplinäre ärztliche Beratung durch ein sogenanntes Heart Team mit Therapievorschlag ist heute Standard. So können Patient:innen eine informierte Entscheidung treffen. Eine Altersbegrenzung für Herzoperationen gibt es heute nicht mehr.
Nach einer Klappenreparatur
Nach einer Operation an den Herzklappen geht es vielen schon nach wenigen Wochen deutlich besser. Eine Reha kann helfen, die Belastungsfähigkeit langsam wieder zu steigern. Die meisten Patient:innen müssen langfristig Medikamente gegen Herzschwäche oder Gerinnungshemmer einnehmen. Bei operativen und zahnärztlichen Eingriffen ist eine Antibiotikaprophylaxe erforderlich. Damit soll verhindert werden, dass sich Bakterien, die während des Eingriffs in die Blutbahn geraten, an der reparierten Klappe ansiedeln und eine eitrige Entzündung auslösen. Aus den gleichen Gründen ist auch eine sorgfältige Mundhygiene wichtig. Sport und Reisen sind nach einer Klappenreparatur in den meisten Fällen wieder möglich.
Stand: 1. Juli 2022 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2022 / S.06