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Der Glaube an die Globuli

Die Verheißungen der Homöopathie.

Norbert Schmacke (Hrsg.) (2015) Der Glaube an die Globuli. Die Verheißungen der Homöopathie. Band 16 der Reihe medizinHuman. Berlin: Suhrkamp Verlag, 244 Seiten, 14 €
Norbert Schmacke (Hrsg.) (2015) Der Glaube an die Globuli. Die Verheißungen der Homöopathie. Band 16 der Reihe medizinHuman. Berlin: Suhrkamp Verlag, 244 Seiten, 14 €

Dieses Buch ist etwas für fleißige, neugierige Leser und Leserinnen – also für alle, die genauer wissen wollen, warum die sogenannte Alternativmedizin den Nimbus des Überlegenen im Vergleich zur (natur)wissenschaftlich fundierten Medizin besitzt. Diese Medizin wird hierzulande oft als „Schulmedizin“ abqualifiziert. Und das ist ein Phänomen, dem der Bremer Gesundheitswissenschaftler Norbert Schmacke als Herausgeber und Mitautor des Sammelbands auf den Grund geht. 

Im ersten Kapitel erklärt der Arzt und Philosoph Uwe Heyll als einer von acht Autoren zunächst, warum wir so oft von den positiven Effekten homöopathischer und anderer Alternativverfahren lesen. Der Schlüssel liegt in der „psycho-physischen Doppelnatur des Menschen“, der zufolge sich unser Wohlergehen sowohl aus den „Einflüssen der physikalischen Welt“ als auch „den Vorstellungen des Bewusstseins“ speist. Für die medizinische Therapie bedeutet dies, dass beim Behandlungserfolg nicht allein erprobte Arzneimittel oder ein studiengeprüfter chirurgischer Eingriff eine Rolle spielen, sondern auch unser Eindruck, unsere Erwartungen und die Person des Arztes oder der Ärztin. Ihnen vertrauen Kranke oft bedingungslos, da sie deren Kompetenz schätzen und hochhalten.

Eine derartige „Bedeutungszuschreibung“ kann Erfolge befördern, die nicht dem Mittel oder der konkreten Intervention zuzuordnen sind, sondern der Person und begleitenden Ritualen (weißer Kittel, Handschlag usw.). All dies ist unter anderem Teil des „Placeboeffekts“, den es in Studien zu ermitteln gilt, damit der Nutzen eines Homöopathikums oder eines anderen Arzneimittels im Vergleich zum Scheinmedikament (Placebo) sichtbar wird – oder auch nicht.
Heyll macht ferner zweierlei deutlich: Erstens gibt es nur eine Wissenschaft, die Therapieerfolge untersucht, ein „Pluralismus in den Methoden“, wie ihn die Homöopathie zur eigenen Rechtfertigung anbringt, ist hier unsinnig. Zweitens unterliegen Ärzte mit einer alternativmedizinischen Zusatzqualifikation oft einer Selbsttäuschung. Denn wenn eine Therapie mit praktisch wirkstofffreien homöopathischen Mitteln nützt, sind sie eher geneigt, dies der Therapie zuzuschreiben als der Selbstregulation des menschlichen Organismus oder Placeboeffekten, die u.a. mit ihrer Person verbunden sind.

Im einem wichtigen letzten Schritt erinnert der Autor daran, dass mit der „Alternativmedizin“ enorme Ressourcen verschwendet werden: etwa „wenn Universitäten … Medizinstudenten dazu verpflichten, Kenntnisse in alternativen Heilverfahren zu erwerben, oder wenn Ärzte … angehalten werden, in zeitraubenden und teuren Kursen, die Lokalisation von Akupunkturpunkten oder die Inhalte homöopathischer Arzneimittelbilder zu erlernen – so als handle es sich um experimentell bestätigte Tatsachen.“ Das sind sie nämlich nicht. Aber lesen Sie selbst.

Der Gesundheitswissenschaftler Norbert Schmacke zielt darauf ab, die Homöopathie zu entzaubern. Kritisch fragt er zum Beispiel, ob denn das viel beschworene Vertrauensverhältnis zwischen Homöopath und Patient wirklich so vorbildlich ist – etwa weil der Hilfsbedürftige sich ernst genommen fühlt. Seine Antwort: „Die Patientinnen und Patienten erfahren typischerweise nicht, welches Medikament aus welchem Grund vom Homöopathen ausgesucht worden ist, und das Prinzip der zeitlich unbefristeten Suche nach dem richtigen Medikament schafft dem Behandler unendlichen Spielraum, innerhalb dessen der Patient fortlaufend darüber nachdenken muss, ob er tatsächlich alle wichtigen Informationen preisgegeben hat oder ob er andernfalls mitschuldig ist, dass die Behandlung noch nicht funktioniert hat.“ Bei der ausführlichen Erstanamnese geht es auch um Lebensführung und Lebenseinstellung. Was der Patient oder die Patientin dabei kundtut, wirkt sich etwa auf die Auswahl des Mittels aus. Wirkt ein Präparat nicht, kann das der unzulänglichen Information seitens des Patienten zugeschrieben werden.

Mit einem modernen Arzt-Patienten-Verhältnis, wo es um gemeinsame Entscheidungsfindung geht, hat das alles nichts zu tun. Diesem Thema widmet sich übrigens am Ende des Buchs ein eigener Abschnitt, in dem es um Teilhabe (Partizipation) statt Hörigkeit in der Medizin geht: „Im paternalistischen Entscheidungsmodell befinden sich Kranke in einer weitgehend passiven Rolle und sind von der ärztlichen Expertise abhängig.“

Ein besonderes Ärgernis sind Schmacke offensichtlich die immer wieder propagierten Behandlungserfolge bei Krebs. Dabei gibt es „… keinen einzigen Beleg für einen sinnvollen Einsatz der Homöopathie zur Behandlung oder Symptomlinderung bei Krebserkrankungen.“ An anderer Stelle merkt man dem Autor die schiere Verzweiflung ebenfalls an, wenn etwa beliebte Schauspielerinnen wie Marion Kracht ohne irgendeine fachliche Kompetenz in Interviews gewissermaßen für Globuli werben, weil sie selbst bei der Geburt des zweiten Kindes, aber später auch ihr Vater, Hund und Katze angeblich von Homöopathie profitiert haben, während in ihren Augen „der Chefarzt, der gegen die Gabe von Globuli bei Entbindungen ist, nichts anderes (ist) als ein ,Idiot‘.“

Geradezu erleuchtend ist übrigens der Abschnitt über „Die Adelung der Homöopathie durch Politik und Regierungen“. Darin ist zu lesen, wie es dazu kam, dass der Gesetzgeber dem politischen Druck nachgegeben hat, „Homöopathie und andere Verfahren von den sonst obligatorischen Nutzennachweisen freizustellen.“ Mit anderen Worten: Homöopathika müssen nicht die klinischen Studien durchlaufen, die für andere Arzneimittel Vorschrift sind, und werden dennoch – teilweise ausgestattet mit Anwendungsbereichen – in Apotheken verkauft. Warum eigentlich?

Wie stark der alternativmedizinische Lobbyismus wirkt, führt Schmacke am Beispiel der Schweiz vor, wo die Kosten­übernahme von alternativen Verfahren durch die Krankenkassen ein jahrelanges Hin und Her auslöste. Wäre das nicht so traurig, könnte man über die His­torie lachen. Das trifft auch für die Krankenkassen hierzulande zu, die unsinnige Alternativmedizin erstatten. Aber Geld regiert die Welt: Krankenkassen binden so den „überdurchschnittlich gebildeten und verdienenden Durchschnittsnutzer der Alternativmedizin“ mit einem „versicherungsmathematisch günstigen Risiko“. In der Tat finden sich gerade in dieser Klientel viele Anhänger von Homöopathie und Co.

Doch der Sammelband, dessen Lektüre durchaus keine leichte Kost ist, bietet mehr: Ein Abschnitt ist den Mistelpräparaten als Teil der antiquierten Anthro­posophischen Therapie gewidmet. Ein anderer fragt, was sich in der Arzt-Patienten-Kommunikation bessern muss, damit eine patientenzentrierte Medizin stattfinden kann. Und die ist wichtig! Denn viele Menschen wenden sich deshalb Alternativverfahren zu, weil sie von ihrem unzugänglichen Arzt oder ihrer kurz angebundenen Ärztin frus­triert sind (siehe auch Seite 8).

Im letzten Kapitel des Buches geht es ausführlich um die Evidenzbasierte Medizin. Mit ihrem Anspruch an gute Wirksamkeitsnachweise für Arzneimittel und andere Therapien ist sie ein Kontrapunkt zur mythenreichen Alternativmedizin. Die Erwartungen an die EbM sind gewachsen, nur kann sie nicht alle Mängel in der medizinischen Versorgung beheben. Aber für klar denkende Menschen sind Homöopathie und diverse Naturheilverfahren keine Alternative.

 

Evidenzbasierte Medizin (EbM)
GPSP 3/2011, S. 12

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 04/2016 / S.22