Zum Inhalt springen
©Jörg Schaaber

Warum alt manchmal besser ist: Diuretika gegen Bluthochdruck

Neue Arzneimittel sind nicht unbedingt besser. Gar nicht so selten sind sogar „alte“ Wirkstoffe die bessere Wahl. Wenn bei einer Erkrankung ein Arzneimittel ausgewählt werden muss, können Präparate, die sich seit Jahrzehnten in der Praxis bewährt haben, Vorteile bieten. Ein Beispiel hierfür sind die harntreibenden Thiazid-Diuretika. Sie sind seit den 1950er Jahren bekannt und gehören immer noch zu den besten Mitteln gegen Bluthochdruck.

Thiazide sind harntreibende Substanzen (Diuretika). Hydrochlorothiazid, Chlortalidon und ähnliche Wirkstoffe werden vorwiegend bei krankhaft erhöhtem Blutdruck eingesetzt. Daneben helfen sie bei Herzschwäche (Herzinsuffizienz) und dienen dazu, Wassereinlagerungen im Gewebe auszuschwemmen. Denn Thiazide greifen in die Funktion der Niere ein. Dort wird der Urin gebildet, und Thiazid-Diuretika sorgen dafür, dass die Niere mehr Wasser und Salze ausscheidet. Allerdings hält dieser Effekt nur einige Tage an – auch wenn man die Pille weiter einnimmt. Die Blutdrucksenkung könnte daher auch auf einer Veränderung des Salzhaushaltes und weiteren Mechanismen beruhen. Auch wenn immer noch nicht vollständig geklärt ist, warum Thiazide den Blutdruck dauerhaft senken, ist ihr Nutzen für Menschen mit Hochdruck gut belegt.

Eine der größten und wichtigsten Untersuchungen zur Bluthochdruckbehandlung, die jemals durchgeführt wurde, war die ALLHAT-Studie.1 Zwischen 1994 und 2002 wurden bei rund 40.000 Patienten mit leicht bis mittelgradig erhöhtem Blutdruck verschiedene Medikamente miteinander verglichen. Im Gegensatz zu vielen anderen Studien wurde also nicht ein neuer Wirkstoff gegen Placebo getestet. Vielmehr verglichen die Wissenschaftler eine seit Jahrzehnten eingesetzte Therapie, nämlich das über 50 Jahre alte Thiazid-Diuretikum Chlortalidon, mit dem deutlich jüngeren Alphablocker Doxazosin und zwei der damals neuesten Mittel gegen Bluthochdruck, dem Calcium-Antagonisten Amlodipin und dem ACE-Inhibitor Lisinopril.

Die Behandlungen mit Doxazosin wurden aufgrund zu häufiger unerwünschter Wirkungen vorzeitig beendet, indes konnte die Studie mit den restlichen 33.000 Teilnehmern über knapp fünf Jahre regulär zu Ende geführt werden. Die Ergebnisse: Das altbekannte Chlortalidon senkte den Blutdruck etwas stärker als Amlodipin und Lisinopril. Dies wirkte sich zwar nicht auf die Zahl der Todesfälle in der Studie insgesamt aus. Doch die Folgeerkrankungen des Bluthochdruckes, die man mit blutdrucksenkenden Mitteln vermeiden möchte, traten unter Chlortalidon seltener auf als unter den beiden neueren Medikamenten. Lisinopril war gegen Herz-Kreislauf-Sterblichkeit, Schlaganfall und Herzinsuffizienz (Herzschwäche) nicht so effektiv wie das Thiazid Chlortalidon, Amlodipin verhinderte Herzinsuffizienz nicht so gut wie das altbewährte Mittel.

Dieses Resultat überraschte viele Mediziner, denn aufgrund theoretischer Überlegungen hatte man eigentlich erwartet, dass die neueren Vergleichsmedikamente besser wären. Zwar gibt es auch Kritik und Diskussionen zur Methodik der ALLHAT-Studie, aber an der Kernaussage, dass Chlortalidon sehr gut vor Folgeschäden von Bluthochdruck schützt, hat sich nichts geändert. Bis heute werden die preiswerten Thiazid-Diuretika auf Basis dieser Studie als erste Wahl in der Behandlung von Bluthochdruck angesehen, sie fehlen in keiner entsprechenden Therapieempfehlung.

Natürlich senken auch die Vergleichssubstanzen Amlodipin und Lisinopril den Blutdruck und helfen Folgeschäden von zu hohem Bluthochdruck zu vermeiden. Aber in ihrem Nutzen für den Patienten waren sie in der wichtigen ALLHAT-Studie dem Chlortalidon, der „guten, alten Pille“, unterlegen.

Herzschwäche
GPSP 1/2006, S. 7

 

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2014 / S.25