Fake Facts
Wie Verschwörungstheorien unser Denken beeinflussen
Die Pandemie legt offen, was schon sehr lange ein ärgerliches Problem ist: Irreführende Informationen über Gesundheit und Krankheit verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Ein wichtiges Buch erklärt, warum Menschen dafür so empfänglich sind und welchen Anteil das Internet dabei hat.
Die Weltgesundheitsinformation (WHO) spricht inzwischen nicht nur von einer Pandemie, sondern auch von einer „Infodemie“: Denn derzeit werden Halbwahrheiten, irreführende Informationen über Gesundheit und Verschwörungsmythen fast schneller weitergegeben als das Corona-Virus selbst. Solche haltlosen Behauptungen schüren bei vielen Menschen Ängste und blockieren besonnene Gesundheitsentscheidungen. Woran liegt das?
Den historischen Wurzeln und psychologischen Mechanismen geht das Autorinnenduo Katharina Nocun (Ökonomin, Netzaktivistin) und Pia Lamberty (Psychologin) in ihrem Buch „Fake Facts“ auf den Grund. Die Autorinnen beschäftigen sich in 14 Kapiteln ganz allgemein mit Verschwörungserzählungen – etwa zum Klimawandel, zum Judentum und zum Holocaust. Beim Lesen wird schnell klar, dass Verschwörungsmythen kein neues Phänomen sind. Immer dann, wenn es große Umbrüche und damit verbundene Unsicherheiten gab, kochte die Gerüchteküche besonders stark.
Drei Kapitel widmen sich irreführenden Behauptungen, Gerüchten und gezielten Desinformationskampagnen zu Gesundheitsthemen. Dabei geht es auch um die psychologischen Grundlagen und um die Frage, warum Verschwörungserzählungen so erfolgreich sind (oft sogar bei Menschen, die den Wahrheitsgehalt mühelos überprüfen könnten) und wie die Technologie des Internets diese psychologischen Muster verstärkt.
Das Internet und die Angst
Oft schüren Verschwörungsmythen Ängste, die Menschen davon abhalten können, sich und andere vor Ansteckung und Krankheit zu schützen. Botschaften, die Furcht und Wut auslösen, sind im Internet besonders erfolgreich, weil die Algorithmen der großen Plattformen Beiträge, die viel angeklickt werden, häufiger anzeigen. Mehr Ängste und mehr Klicks hängen eng zusammen und verstärken sich gegenseitig.
Spirale abwärts
Katharina Nocun und Pia Lamberty unterscheiden in ihrem Buch treffend zwischen Menschen, die berechtigte Fragen haben, und denen, die unabsichtlich oder absichtlich falsche Fakten verbreiten. Erstere gehen oft im Diskurs etwas unter und werden mit echten Verschwörungsideologen in einen Topf geworfen – ein Fehler. Die Folge kann sein, dass diese Gruppe („die Unentschlossenen“) in den Sog der Verschwörungsmythen gerät und sich radikalisiert.
Die Autorinnen erklären sehr ausführlich, wie sie zu ihren Aussagen kommen, sprechen mit Expert:innen verschiedenster Fachgebiete und lassen sich Zeit, die Dinge in Ruhe herzuleiten. Dadurch ist der Text nicht zu dicht und gut verständlich geschrieben, ohne dass die Komplexität verlorengeht. Die Aussagen sind zudem mit Alltagsbeispielen angereichert. Das letzte Kapitel liefert praktische Tipps für das Gespräch mit Anhänger:innen von Verschwörungsmythen. Für besonders Interessierte gibt es zu jedem Kapitel ausführliche Quellenangaben.
Das Buch „Fake Facts“ hilft zu verstehen, was aktuell in unserer Gesellschaft passiert – und möglicherweise auch dabei, sich auf dem einen oder anderen Gebiet selbst auf die Schliche zu kommen.
Stand: 5. Januar 2021 – Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2021 / S.21