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© Massonstock/ iStockphoto.com

Wer braucht ein Antibiotikum?

Die Ausbreitung von Resistenzen verhindern

Wenn Arzt oder Ärztin ein Antibiotikum verschreiben, hoffen viele Patienten auf eine rasche Linderung ihrer Beschwerden. Vor allem in der kalten Jahreszeit, in der Infekte grassieren. Andererseits hat fast jeder schon einmal von der Antibiotikaresistenz gehört und fürchtet vielleicht, dass das Medikament bei der nächsten Infektion nicht mehr wirken könnte. Das ist in der Tat ein Problem. Wann also kann man auf ein Antibiotikum verzichten?

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Antibiotika rasch zum festen Bestandteil der Medizin, und viele bakteriell ausgelöste Infektionskrankheiten verloren ihren Schrecken. Schon bald stellte sich jedoch heraus, dass Antibiotika nach einiger Zeit ihre Wirksamkeit verlieren können. Werden sie zu oft unsachgemäß eingesetzt, entstehen häufiger Resistenzen, und die Mittel verlieren schneller an Wirkung. Auch der maßlose Einsatz in der Tiermast trägt zu dieser Entwicklung entscheidend bei.

Werden Bakterien mit der Zeit gegen ein Antibiotikum resistent – man spricht von erworbener Resistenz –, dann hilft es gegen diese nicht mehr. Die Krankheit nimmt einen schweren oder gar tödlichen Verlauf. Auch fatal: Resistente Bakterien können im Körper überdauern, sich zu einem späteren Zeitpunkt erneut vermehren und eine neue Infektion ist dann schlechter zu behandeln. Oder sie können auf andere Menschen übertragen werden und dann bei ihnen zu schwer behandelbaren Infektionen führen.

Gegen Viren nutzlos

Infekte können durch Bakterien oder Viren hervorgerufen werden. Oft sind die Symptome bei bakteriellen oder viralen Infekten sehr ähnlich, etwa bei einer Halsentzündung (Angina). Antibiotika sind wirksam gegen Bakterien, doch wirkungslos gegen Viren. Der Arzt muss daher einschätzen, ob es sich bei den Beschwerden seines Patienten eher um einen bakteriellen oder einen viralen Infekt handelt.

Bei grippalen Infekten in der Winterzeit sind meist Viren die Auslöser. Dennoch verordnen Ärzte dann häufig Antibiotika, weil sie „nichts anbrennen lassen wollen“. Hier treffen oft zwei Phänomene aufeinander: ein Patient, der hofft, schneller fit zu sein, und ein Arzt, der meint, dadurch seinem Patienten am besten zu helfen – und schwupp wird ein Rezept ausgestellt.

Patienten schuld?

Ärzte begründen eine überflüssige Antibiotikaverordnung oft damit, dass der Patient oder die Patientin diese erwartet oder sogar darauf bestanden habe. Das mag in Einzelfällen so sein, gilt aber für die meisten Menschen nicht.2 Um sich mit ihren Beschwerden ernst genommen zu fühlen, möchten etwa Patienten mit einem grippalen Infekt nicht immer gleich ein Rezept. Oft hilft schon, wenn die Ärztin oder der Arzt aufmerksam zuhören und darüber sprechen, dass die Symptome meist nach einigen Tagen verschwinden. Linderung lässt sich oft durch Schonung, ausreichendes Trinken – und bei Bedarf leichte Schmerzmittel – erreichen. Dazu kann auch eine Krankschreibung gehören.

Das Bedarfsrezept

Eine typische Situation in der Arztpraxis sieht oft so aus: Ich bin krank (oder mein Kind), der Arzt geht von einem bakteriellen Infekt aus, die Behandlung mit einem Antibiotikum steht im Raum. Arzt und Patient – oder dessen Eltern – sind aber der Meinung, man könne noch etwas abwarten, ob sich die Krankheit nicht auch ohne Antibiotikum bessert.

In diesem Fall kann ein Bedarfsrezept (Stand-by-Rezept) sinnvoll sein. Bleiben die Symptome bestehen oder verschlimmern sich, kann man das Rezept einlösen und das Antibiotikum einnehmen. Das spart einen zweiten Arztbesuch, setzt aber ein gegenseitiges Vertrauen voraus: Der Patient vertraut dem Arzt, dass die Entscheidung pro oder contra Antibiotikum aufschiebbar ist, und der Arzt vertraut dem Patienten, dass er sich bei einer Verschlechterung wie abgesprochen verhält.

Wie lange einnehmen?

Für viele Erkrankungen ist untersucht, wie lange Antibiotika eingenommen werden müssen, damit die Behandlung erfolgreich sein kann und eine unnötige Resistenzbildung vermieden wird. Deshalb unser Rat: Bitte nehmen Sie Ihr Antibiotikum so lange ein, wie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin abgesprochen, auch wenn Sie sich vorher schon besser fühlen. Andernfalls sollten Sie sich erneut ärztlich beraten lassen.

Keine Selbstbehandlung bei erneutem Infekt

Viele denken: Ich habe einen Infekt, und bei ähnlichen Symptomen hat mir der Hausarzt letztes Mal ein Antibiotikum verordnet. Davon ist noch die halbe Packung übrig, da kann ich es mir doch ersparen, wieder stundenlang im Wartezimmer zu sitzen – und behandle mich gleich selbst. Bitte nicht!

Zum einen können ähnliche Symptome bei unterschiedlichen Krankheiten auftreten, zum anderen kann sich durch die erste Einnahme eine Resistenz entwickelt haben und das Antibiotikum nicht mehr wirksam sein. Ob und welches Antibiotikum jeweils in Frage kommt, ist immer eine aktuelle ärztliche Entscheidung. Wie fatal die Selbstmedikation bei Antibiotika ist, illustriert die Tatsache, dass Resistenzen im Mittelmeerraum stark verbreitet sind. Diese rührt auch daher, dass dort Antibiotika nicht nur bedenkenloser verordnet werden, sondern zum Teil sogar in Apotheken rezeptfrei verkäuflich sind.

Und was passiert sonst noch?

Es gibt weitere Gründe dafür, nicht leichtfertig Antibiotika einzunehmen: die unerwünschten Wirkungen. Antibiotika greifen nämlich nicht nur diejenigen Bakterien an, die krank machen, sondern auch viele andere. Die meisten befinden sich in unserem Darm (Darmflora), wo sie bei der Verdauung eine wichtige Rolle spielen. Werden diese „guten“ Bakterien nun eliminiert, funktioniert die Verdauung schlechter. Dadurch kommt es besonders oft zu Bauchbeschwerden und Durchfall. Auch die natürliche, schützende Flora der Mundschleimhaut, der Haut oder in der Scheide kann geschädigt werden, und durch Candida-Pilze kann Soor entstehen.

Eher selten, aber gefürchtet sind allergische Reaktionen auf Antibiotika, bekannt ist die „Penicillinallergie“; doch auch gegen alle anderen Antibiotika gibt es Allergien. Oft macht das dann eine Behandlung kompliziert und in Einzelfällen ist es sogar lebensgefährlich.

Fazit

Durch sorglosen Umgang mit Antibiotika wird diese wichtige Waffe zunehmend stumpf. Vor allem Ärztinnen Ärzte und müssen Antibiotika daher gezielter verordnen. Aber auch Sie als Patientin oder Patient können eine Antibiotikabehandlung hinterfragen – wohlgemerkt, nicht bei schweren oder sehr infektiösen Krankheiten, sondern bei Allerweltsinfekten, die unser Abwehrsystem oft selbst in den Griff bekommt. Also: Wenn Ihnen der Arzt ein Antibiotikum verordnen will, fragen Sie durchaus nach, ob das zum jetzigen Zeitpunkt schon erforderlich ist oder ob Sie noch abwarten können.4 Und falls das Antibiotikum erforderlich ist, dann nehmen Sie es genau nach Vorschrift ein. So tragen Sie Ihren Teil dazu bei, dass Antibiotika auch künftig noch wirken.

Antibiotika bei Mittelohrentzündung ⇒ GPSP 5/2017, S. 8

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2018 / S.16