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„Natürlich“ ist nicht harmlos

Wenn pflanzliche Mittel sich nicht mit anderen Medikamenten vertragen

Pflanzliche Mittel aus Apotheke, Drogerie und Internet sind beliebt. Doch nur wenige wissen, dass einige dieser scheinbar harmlosen Präparate die Wirksamkeit von Medikamenten beeinflussen können – manchmal mit gravierenden Folgen.

Erhöhtes Blutungsrisiko durch Goji-Beeren, Organabstoßung nach einer Transplantation wegen Johanniskraut, unzureichende Wirksamkeit von HIV-Medikamenten bei Einnahme von Ginkgo: In der wissenschaftlichen Literatur1 finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass pflanzliche Mittel nicht so harmlos sind, wie landläufig angenommen wird. Besonders riskant kann es werden, wenn Patientinnen und Patienten gleichzeitig andere Medikamente einnehmen – denn dann können Wechselwirkungen entstehen.

Vorsicht walten lassen

Systematische Untersuchungen zu dieser Frage sind allerdings rar. Für einige pflanzliche Mittel gibt es so viele Erfahrungen, dass man von einem wissenschaftlich gesicherten Zusammenhang ausgehen kann. Entsprechende Informationen finden sich dann oft in dem Beipackzettel der Medikamente oder der pflanzlichen Arzneimittel.

Nahrungsergänzung

Aber aufgepasst: Bei pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln können diese wichtigen Hinweise fehlen. Das gilt auch für Arzneimittel, wenn zwar entsprechende Verdachtsmomente auf relevante Wechselwirkungen bestehen, aber noch einige Fragen offen sind. Wer dauerhaft Medikamente einnimmt, sollte deshalb im Hinblick auf pflanzliche Mittel grundsätzlich Vorsicht walten lassen.

In der Mangel der Enzyme

Besonders problematisch ist Johanniskraut: Es verstärkt die Aktivität von Enzymen und anderen Eiweißstoffen, die für den Abbau vieler Medikamente zuständig sind. Und das sogar noch für einige Wochen, wenn man Johanniskraut gar nicht mehr einnimmt.

Die Folge dieser Interaktion: Die Wirksamkeit dieser Arzneimittel nimmt ab. Und das kann erhebliche, manchmal sogar lebensbedrohliche Folgen haben. Entsprechende Auswirkungen sind etwa für Medikamente bekannt, die zur Behandlung einer HIV-Infektion eingesetzt werden. Durch Johanniskraut schlagen die Medikamente nicht mehr so gut an, das Virus kann wieder die Oberhand gewinnen.

Auch einige Mittel gegen andere Erkrankungen, etwa gegen bestimmte Pilzinfektionen oder Hepatitis C, können durch Johanniskraut ihre Wirksamkeit zumindest teilweise verlieren.

Langer Einfluss

Besonders dramatisch: Auch Arzneimittel, die nach einer Organtransplantation die Abstoßungsreaktion unterdrücken, können in ihrer Wirksamkeit nachlassen. Dann droht ein Versagen der neuen Niere oder des neuen Herzens. Auch die Wirksamkeit einiger Krebsmedikamente und etlicher anderer Arzneistoffe kann unter der gleichzeitigen Einnahme von Johanniskraut leiden.

Weitere Probleme

Damit noch nicht genug: Da Johanniskraut dafür sorgt, dass der Nervenbotenstoff Serotonin vermehrt ausgeschüttet wird, verstärkt das pflanzliche Mittel die Nebenwirkungen von vielen Antidepressiva und möglicherweise auch von Triptanen, die man gegen Migräne nimmt. Außerdem macht Johanniskraut die Haut lichtempfindlicher. Das kann für Menschen zum Problem werden, die etwa wegen einer Hauterkrankung eine Lichttherapie erhalten (beispielsweise PUVA bei Schuppenflechte oder photodynamische Therapie bei bestimmten Formen von Hautkrebs).

Einfluss auf die Blutgerinnung

Besonders anfällig für Wechselwirkungen sind bestimmte Medikamente, die die Blutgerinnung hemmen und beispielsweise einen Schlaganfall oder Herzinfarkt durch ein Blutgerinnsel verhindern sollen. Pflanzliche Mittel wie etwa Johanniskraut oder Ginseng können die Wirksamkeit solcher Arzneimittel herabsetzen, sodass sich leichter ein Blutgerinnsel bildet. Umgekehrt können Präparate mit Ginkgo, Knoblauch oder Ingwer die Wirkung dieser Medikamente verstärken – dann drohen Blutungen.

Nutzen und Risiken abwägen

Aufmerksame GPSP-Leserinnen und -Leser werden wissen, dass der Nutzen der erwähnten pflanzlichen Mittel sowieso ziemlich schlecht belegt ist. Das gilt etwa für Ginkgo zur Gedächtnisverbesserung oder als Mittel gegen Ohrgeräusche (Tinnitus), für Ginseng als Stoff für ein fitteres Gehirn2 oder für Johanniskraut gegen Depression.3
Auch über die fehlenden Wirksamkeitsbelege für Knoblauch gegen Herzerkrankungen und für Ingwer gegen allerlei Leiden haben wir bereits berichtet. Unseres Erachtens fällt die Abwägung von Nutzen und Schaden angesichts der möglichen Wechselwirkungen deshalb ungünstig aus.

Wer dennoch ein solches Mittel ausprobieren will oder bereits einnimmt, sollte unbedingt mit seinem Arzt oder seiner Ärztin darüber sprechen, damit es keine bösen Überraschungen gibt. In manchen Fällen werden dann häufigere Untersuchungen oder Blutabnahmen nötig werden, um gefährliche Zwischenfälle weniger wahrscheinlich zu machen.

Mehr Infos zu pflanzlichen Mitteln
Ginkgo
GPSP 3/2013, S. 28
GPSP2/2017, S. 23
Goji-Beeren
GPSP3/2013, S. 22
Knoblauch
GPSP6/2014, S. 24
Ingwer
GPSP3/2013, S. 26

Pflanzen als wirksame Medikamente
GPSP 6/2015, S. 22

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2019 / S.08