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©becon/iStock

Berührung kann helfen

Sanfte Massagen vor, während und nach der Geburt

Schwangerschaft und Geburt sind meist von vielen positiven Emotionen begleitet. Sie können aber auch Ängste und psychische Probleme auslösen. Einiges spricht dafür, dass Berührungen in Form sanfter Massagen werdenden Müttern in allen Stadien der Schwangerschaft gut tun.

Die Geburt eines Kindes sei, so wird gerne gesagt, ein „freudiges Ereignis“. Und „guter Hoffnung sein“ ist ein altertümlicher Ausdruck für die Schwangerschaft. Allerdings sehen Frauen der Schwangerschaft und Geburt durchaus auch mit Sorgen und Ängsten entgegen. Wird mein Kind ganz gesund sein? Wie wird sich mein Körper verändern? Und wie wirkt sich die Elternschaft auf Sex und Liebe in der Beziehung aus?

Neben solchen konkreten Fragen gibt es zahlreiche Faktoren, die Schwangere und frischgebackene Mütter belasten. Dazu kommt die hormonelle Umstellung in der Schwangerschaft und nach der Geburt. Auch sie ist oft eine Ursache für Ängste und Traurigkeit. Das seelische Tief nach der Geburt geht meist rasch vorüber, kann aber auch länger andauern und sich sogar zu einer anhaltenden Depression entwickeln. Mediziner und Psychologen sprechen dann von einer „postpartalen Depression“.

Neben Kursen zur Geburtsvor­bereitung, guter Begleitung durch eine Hebamme und medika­mentösen Verfahren, die den Geburtsschmerz mildern sollen, existiert ein „händisches“ Verfahren, das das Gebären erleichtern kann und sogar das Risiko der postpartalen Depression zu reduzieren vermag: Massagen. Gemeint sind damit keinesfalls kräftige oder derbe Massagen wie etwa eine Sport- oder Bindegewebsmassage, sondern sanfte Berührungen mit vor allem langen Ausstreichungen, die fließend ineinander übergehen. Man bezeichnet diese Technik auch als „psychoaktive Massage“; ihre Wirksamkeit, etwa gegen Angst, Depression und chronische Schmerzen, ist in vielen Studien nachgewiesen.1,2

Berührung ist wichtig

Damit wir gesund heranwachsen, brauchen wir Berührung. Denn taktile Reize, also die Ansprache des Hautsinns, fördert die Entwicklung des Gehirns und die Ausschüttung von Wachstumshormonen. Zu früh geborene Babys reifen bekanntlich schneller, wenn sie täglich mehrfach gestreichelt werden.

Sanfte rhythmische Berührungen lösen auch bei Erwachsenen die Ausschüttung von Hormonen wie Oxytocin aus, die das Wohlbefinden steigern, den Blutdruck senken und die emotionale Bindung zwischen Mutter und Baby fördern. Stresshormone werden dadurch deutlich weniger ausgeschüttet.

Viele Untersuchungen sprechen für den Nutzen geeigneter Massagen bei Schwangeren. Auch wenn die einzelnen Studien häufig relativ klein sind, ist die Tendenz deutlich.3 Allerdings gibt es eine wichtige Einschränkung: Kräftige, auf die Muskulatur fokussierte Massagen sind tabu, weil sie Wehen auslösen können.

Vor der Geburt

Eine US-amerikanische Forscherin hat sich intensiv mit den Wirkungen von Massage befasst.4 Sie fand zum Beispiel: Schwangere, die von Physiotherapeuten oder auch einem Angehörigen – etwa ihrem Partner – über mehrere Wochen jeweils für 20 Minuten wöchentlich massiert wurden, haben weniger Depressionen und Angst, weniger Bein-und Rückenschmerzen und vor allem seltener Frühgeburten. Das überrascht nicht, denn bei Schwangeren mit Depressionen kommen häufiger Frühgeburten vor. Regelmäßige Massagebehandlungen über 36 Schwangerschaftswochen haben laut der US-Forscherin Tiffany Field noch einen positiven Effekt: Sie können Schmerzen während der Geburt verringern.

Während der Geburt

Mehrere Forschungsprojekte haben den angstlösenden und schmerzlindernden Effekt von Massagen während der Geburt untersucht. So ergab eine Vergleichsstudie, in der die gebärenden Frauen per Zufall der Massagegruppe (30 Minuten Rückenmassage) oder der Kontrollgruppe (nur Gespräch mit dem Physiotherapeuten) zugeteilt worden waren, einen deutlichen schmerzlindernden Effekt. Nach einer älteren Studie waren bei Gebärenden mit Massage Geburtsdauer und Krankenhausaufenthalt verkürzt.

Eine Arbeitsgruppe aus Taiwan fand, dass Massage während der Geburt schmerzlindernde Effekte hat. Außerdem weisen die Autoren auf die günstigen psychologischen Wirkungen hin, wenn der Partner die Massagen durchführt. Chinesische Krankenhäuser haben dazu spezielle Massageräume eingerichtet.

Massage und Depression

Nach der Geburt erleben viele Frauen ein unerwartetes Stimmungstief, das unter anderem mit den heftigen hormonellen Veränderungen erklärt wird. Bei einigen Frauen schwindet die Niedergeschlagenheit nicht, und es entwickelt sich eine anhaltende Depression. Gefährdet sind etwa Frauen, die sich bereits während der Schwangerschaft mit Ängsten und Symptomen einer Depression quälten. Von den Problemen loszukommen, ist nicht leicht: Zwei von 100 Müttern mit einer postpartalen Depression litten noch ein Jahr später an einer Depression.

Medikamente einzunehmen ist problematisch, weil die Wirkstoffe in die Muttermilch gelangen können. Umso erfreulicher ist es, dass Frauen, die schon vor der Schwangerschaft Depressionen hatten, von regelmäßigen Massagen profitierten: die Häufigkeit depressiver Symptome nach der Geburt sank.

Es gibt weitere vielversprechende Effekte: Sogar eine Fußreflexzonenmassage nach der Geburt einmal täglich über drei Tage mindert die depressive Stimmungslage. Eine entspannende Wirkung einer 20-minütigen Rückenmassage am ersten Tag nach der Geburt auf die Psyche ist ebenfalls nachgewiesen.

Wie und warum wirkungsvoll?

Wie können wir uns die geschilderten therapeutischen Effekte naturwissenschaftlich erklären? Hier erscheint eine Beobachtung besonders interessant: Frauen, die ab dem letzten Schwangerschaftsdrittel einen besonders niedrigen Blutspiegel des Hormons Oxytocin hatten, litten nach der Geburt stärker unter Depressionen. Allgemein scheinen erniedrigte Oxytocin-Blutspiegel mit mehr Angst und Depressivität verknüpft zu sein. Da Massage den Körper dazu bringt, mehr Oxytocin auszuschütten, könnte das die positive Wirkung erklären.

Fazit

Die positive Wirkung von Massage auf die Psyche wurde in vielen Studien nachgewiesen. Für den Nutzen von sanften Massagen bei Schwangeren sowie während und nach der Geburt, sprechen ebenfalls mehrere Studien – auch wenn hier noch immer großer Forschungsbedarf besteht. Unerwünschte Wirkungen solcher Massagen gibt es praktisch nicht. Daher sollten Frauen, die den Wunsch nach nicht-medikamentösen Methoden zur Linderung von Angst, Schmerzen und Depression in der Schwangerschaft haben, Massagen schon in der Geburtsvorbereitung nutzen – auch wenn die Krankenkasse dafür vermutlich nicht aufkommen wird …

 

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2017 / S.04