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Der Wasserturm in Berlin-Steglitz, Domizil des arznei-telegramms. Foto: © Jörg Schaaber

50 Jahre arznei-telegramm®

Unser Mitherausgeber feiert Jubiläum

GPSP wird von vier unabhängigen Arzneimittelzeitschriften getragen, eine davon ist das arznei-telegramm®, das seit einem halben Jahrhundert in Berlin erscheint. Wir gratulieren.

Eine Gruppe von jungen Ärzten und Studierenden fing 1969 an, auf Flugblättern regelmäßig fragwürdige Geschäfte der Pharmaindustrie anzuprangern. Da war noch nicht absehbar, dass aus diesen Mitteilungen die heute zweit­älteste1 kritische Arzneimittelzeitschrift in Deutschland entstehen würde. Seit 1970 firmiert das Blatt als arznei-telegramm®.

Im Dezember 1970 endete nach 283 Verhandlungstagen der Contergan-Prozess mit der Einstellung des Verfahrens. Trotz erkennbarer Schuld der Angeklagten. Kein Wunder, dass das Thema die jungen Mediziner umtrieb.2 Der Hersteller Grünenthal hatte Contergan (Thalidomid) als „gefahrloses“ Schlafmittel angepriesen. Über 10.000 Kinder kamen mit Fehlbildungen auf die Welt, ihre Mütter hatten das vermeintlich harmlose Medikament genommen. Im Dezember 1960 – ein Jahr bevor Contergan vom Markt genommen wurde und einige Schäden schon bekannt waren – schrieb die Firma in einem internen Bericht: „Contergan stellt derzeit fast 50 Prozent unseres gesamten Inlandsumsatzes, und es geschieht alles, um diesen Augapfel … abzusichern.“

Die Industrie reagierte in den ersten Jahren äußerst allergisch auf das unabhängige Blatt, das die Werbebotschaften der Hersteller in Frage stellte. Ende 1970 drohte Pfizer mit Schadensersatzforderungen über 2,3 Millionen DM! Erst als die Presse über diesen Einschüchterungsversuch berichtete, verlief die juristische Intervention im Sande. Einer der Mitbegründer des arznei-telegramm® wurde nach Diffamierungen seitens der Industrie von seinem Klinikchef wegen angeblicher Machenschaften vorgeladen.

Schering versuchte es 1978 mit einer verdeckten Strategie gegen den damaligen Herausgeber Ulrich Moebius vorzugehen. Das arznei-telegramm® hatte kritisch über die Verwendung von Duogynon® als Frühdiagnostikum für eine Schwangerschaft und dadurch möglicherweise ausgelöste Fehlbildungen bei Neugeborenen berichtet. Die Firma hatte diese Indikation zwar bereits 1973 gestrichen, das aber nicht ausreichend an Ärztinnen und Ärzte kommuniziert. Interne Firmenschreiben, jetzt im Landesarchiv Berlin einsehbar, sind ziemlich deutlich: „M.E. ist es nun auch für uns an der Zeit, Herrn Dr. Moebius überall dort Schwierigkeiten zu machen, wo dies möglich und sachlich begründbar ist.“ Zudem sei „zu überlegen, ob wir (also Schering, Red.) einen Journalisten finden, den das Thema, Herr Dr. Moebius betreibt sein Geschäft mit der Angst?‘ interessiert…“

Unsinnige und gefährliche Therapien waren in der Zeitschrift stets ein wichtiges Thema. Der Vergleich der Kassenschlager und Verkaufshits von 1972 und 2018/19 zeigt, dass einerseits etliche irrationale und risikoreiche Präparate keine Rolle mehr spielen, andererseits gibt es auch heute noch eine Reihe von zweifelhaften Produkten. Das Magenmittel Iberogast® mit aktuell fast neun Millionen verkauften Packungen gehört sicher dazu (GPSP 6/2019, S. 7).

In den 1970ern war Preistransparenz ein Fremdwort. Das arznei-telegramm® änderte das 1977 mit dem transparenz-telegramm, das die Tageskosten vergleichbarer Therapien auf einen Blick erkennen ließ und bald als Arzneimittel-Kursbuch auch Einschätzungen zum Nutzen gab.

Heute ist das werbefreie arznei-telegramm® gemessen an der Zahl bezahlter Abos das auflagenstärkste Informationsjournal für die Ärzteschaft, Apotheker und Apothekerinnen. Priorität haben längst die digitalen Angebote, darunter die Arzneimitteldatenbank3 mit Bewertungen von mehr als 2.500 Wirkstoffen in rund 18.000 Präparaten.

Contergan
GPSP 4/2019, S. 8

 

Alle Artikel zum Jubiläum der Zeitschrift: www.arznei-telegramm.de

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2020 / S.24

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