Zum Inhalt springen
© BakiBG/ iStockphoto.com

Unter die Haut

Progesteron-Creme bei Hitzewallungen & Co.?

Die Hormontherapie in den Wechseljahren wird zu Recht kritisch betrachtet. Fällt die Nutzen-Schaden-Bilanz günstiger aus, wenn Frauen statt Östrogen plus Gestagen nur das „bioidentische“ Hormon Progesteron als Creme verwenden?

Dass eine Hormontherapie in den Wechseljahren bei längerfristiger Anwendung höchst problematisch ist, wissen wir seit fast zwei Jahrzehnten: So steigt etwa das Risiko für Brustkrebs, Herzinfarkt und Schlaganfall.

Deshalb ist es empfehlenswert, bei Beschwerden wie Hitzewallungen und Schweißausbrüchen erst einmal Änderungen des Lebensstils zu probieren: etwa angepasste Kleidung, die frau schichtweise an- oder ausziehen kann. Oder auf bestimmte Lebensmittel wie Alkohol oder scharf gewürztes Essen verzichten. Allerdings ist der Nutzen solcher Maßnahmen schlecht untersucht, und sie helfen nicht allen Frauen ausreichend. Dann kann eine Hormontherapie – möglichst niedrig dosiert und nur so lange wie nötig – oft die Beschwerden lindern.1

Meist kombiniert

Präparate für die herkömmliche Hormontherapie, die im ganzen Körper wirkt, enthalten meistens sowohl ein Östrogen als auch unterschiedliche synthetische, d. h. nicht körpereigene Gestagene. Frauen nehmen diese Hormone entweder in Form von Tabletten ein, oder sie kleben ein Hormonpflaster auf die Haut: Von dort gelangen die Wirkstoffe dann ins Blut.

Das Östrogen soll die Beschwerden lindern, die durch die in den Wechseljahren sinkende körper­eigene Östrogenproduktion ent­stehen. Die Gestagen-Komponente sorgt dafür, dass die Gebär­mutterschleimhaut durch den künstlichen Östrogen-Einfluss nicht unkontrolliert wuchert. Nur Frauen, bei denen die Gebärmutter entfernt wurde, können auf den Gestagenanteil verzichten.

„Natürlich“ – auch besser?

Als Alternative zu einer herkömmlichen Hormontherapie mit synthetischen Gestagenen werden seit einiger Zeit Progesteron-Cremes beworben. Progesteron ist ein Gestagen, das der Körper selbst produziert (siehe Kasten). Deshalb wird es als „bioidentisches Hormon“ angepriesen. Wie wir bereits berichtet haben, muss das kein Vorteil sein. Denn es lassen sich aus dieser Tatsache allein keine verlässlichen Schlussfolgerungen zu Nutzen und Verträglichkeit ableiten.

Rechtliche Aspekte

Die neuerdings immer wieder beworbenen Progesteron-Cremes werden von Arzt oder Ärztin verordnet und dann in einer Apotheke individuell hergestellt. Das ist nach dem deutschen Arzneimittelgesetz zulässig. Wichtig zu wissen: Weil es für solche Rezepturarzneimittel keine Zulassungspflicht gibt, sind Nutzen und Schaden nicht behördlich geprüft. Zugelassene Arzneimittel mit Progesteron-Creme für die Behandlung von Wechseljahresbeschwerden haben wir bei unserer Recherche nicht gefunden.

Im Internet sind wir allerdings auf Shops gestoßen, die Progesteron-Creme ohne Rezept verkaufen. Dabei handelt es sich in der Regel um nicht-verschreibungspflichtige Cremes aus den USA, die dort als Kosmetikartikel vertrieben werden dürfen. Ist der Verkauf in Deutschland dann zulässig? Dazu haben wir zwei Behörden befragt und die einstimmige Einschätzung erhalten: In der EU ist Progesteron in Kosmetika verboten, und auch die Einfuhr solcher Produkte ist nicht erlaubt.

Darüber hinaus werben die Produkte mit Aussagen, die für Kosmetika nicht zulässig sind.2 Für die Kontrolle bei der Einfuhr ist der Zoll zuständig. Ob die Produkte der Behörde immer auffallen, erscheint uns aber fraglich.

Eincremen statt schlucken?

Außerdem: Damit Progesteron-Creme zumindest theoretisch wirken könnte, müsste sie erst einmal in nennenswerten Mengen vom Körper aufgenommen werden. Aber passiert das tatsächlich? Bei unserer Recherche nach Fertigarzneimitteln sind wir auf ein Gel mit Progesteron gestoßen, das für hormonbedingte Schmerzen des Brustgewebes zugelassen ist. Es wird direkt auf die Brust aufgetragen und soll auch nur dort wirken, nicht im gesamten Körper. Für dieses spezielle Präparat haben wir die Angabe gefunden, dass nur ein kleiner Bruchteil des Progesterons überhaupt ins Blut gelangt.

Die in Deutschland zugelassenen Hormonpflaster enthalten neben Östrogen allesamt andere Gestagen-Komponenten – jedoch kein Progesteron.

Vermutlich sehr variabel

Für andere Präparate haben wir Untersuchungen gefunden, die zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen.3 Insgesamt scheint Progesteron eher schlecht über die Haut aufgenommen zu werden.4 Die aufgenommenen Mengen können möglicherweise von Frau zu Frau schwanken. Was zusätzlich dagegen spricht, Progesteron über die Haut zuzuführen.

Nützt Progesteron allein?

Nach dem derzeitigen Kenntnisstand sind vor allem niedrige Östrogenspiegel im Blut für die Wechseljahresbeschwerden verantwortlich. Dass die alleinige Behandlung mit einem ganz anderen Hormon, nämlich Progesteron, helfen könnte, erscheint deshalb erst einmal wenig plausibel.

Für eine solide Beurteilung braucht es aber, wie immer, ordentlich gemachte Studien. Danach haben wir gesucht und sind auf drei Untersuchungen5 gestoßen, bei denen die Teilnehmerinnen nach dem Zufallsprinzip entweder mit einer Progesteron-Creme behandelt wurden oder mit einer Creme ohne Wirkstoff. Auf den Punkt gebracht: Die Ergebnisse sprechen eher dagegen, dass die Behandlung nützt.

Schwache Datenlage

Insgesamt haben nur rund 400 Frauen an diesen Untersuchun­gen teilgenommen. Wesentlich problematischer ist jedoch, dass die Studien allesamt schwerwiegende methodische Mängel und Ungereimtheiten aufweisen.6 Des­halb sind die Ergebnisse nicht verlässlich.

Hinzu kommt: In den Studien werden sehr unterschiedliche Dosierungen von Progesteron verwendet, und die Studien sind mit längstens einem Jahr Behandlung relativ kurz. Nur die älteste und methodisch schlechteste Studie kommt zu einem verhalten positiven Ergebnis. Diese Untersuchungen liefern also keine verlässlichen Belege dafür, dass frau mit Progesteron-Creme Wechseljahresbeschwerden effektiv behandeln könnte.

Verträglichkeit? Unklar!

Noch weniger ist über die unerwünschten Wirkungen bekannt: Nur eine der drei Studien kümmert sich überhaupt detailliert um diese Frage. Darin finden wir Hinweise auf Schmierblutungen und Kopfschmerzen. Aber auch für diesen Aspekt beträgt die längste Beobachtungszeit nur ein Jahr. Angesichts dessen, dass Frauen manchmal mehrere Jahre mit Beschwerden zu kämpfen haben, ist das natürlich zu kurz.

Fazit: Dass Progesteron-Cremes Wechseljahresbeschwerden wirksam lindern können, ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand unwahrscheinlich, und die Risiken sind unklar.

Hormontherapie
GPSP 2/2018, S. 16

Bioidentische Hormone
GPSP 4/2018, S. 10

Tricksen bei der Studienauswertung
GPSP 4/2019, S. 16

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2019 / S.16