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© Jörg Schaaber

Testen um jeden Preis?

Freiverkäuflicher HIV-Test mit Schattenseiten

Wer bisher wissen wollte, ob er oder sie sich mit dem Aids-Erreger HIV angesteckt hat, musste einen Arzt, eine Aids-Beratungsstelle oder das Gesundheitsamt aufsuchen. Jetzt gibt es frei verkäufliche HIV-Selbsttests, die sofort ein Ergebnis liefern. Was für Personen mit hohem Risiko eine sinnvolle Sache sein kann, ist für den großen Rest der Bevölkerung fragwürdig.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn pries die Freigabe der Tests: „Wir wollen Menschen unterstützen, die sich freiwillig auf HIV testen wollen. Die Verkaufsfreigabe von HIV-Selbsttests ist damit ein weiterer Baustein im Kampf gegen HIV und AIDS.“1 Erst mal klingt das plausibel: Wer seine HIV-Infektion aufspürt, kann sich behandeln lassen und andere vor der Ansteckung schützen. Doch jeder Test hat eine Schattenseite, die häufig nicht bedacht wird: Er kann Gesunde fälschlicherweise zu Kranken machen, weil er manchmal auch Alarm schlägt, wenn gar keine Infektion vorliegt. Das sind dann „falsch positive Ergebnisse“.

Auch wenn eine HIV-Infektion heute gut behandelbar ist, bedeutet eine falsche positive Diagnose eine unnötige psychische Belastung, die Partnerschaft, Berufsleben und soziale Beziehungen gefährden kann. Also sollte sich jeder sehr gut überlegen, wann ein solcher Test sinnvoll ist. Vor allem aber birgt der Selbsttest die Gefahr, dass man in einer emotional schwierigen Lage auf sich selbst gestellt ist und alleingelassen wird. Schon deshalb ist ein Test beim Arzt, einer Aids-Hilfe oder dem Gesundheitsamt zu bevorzugen. Außerdem bekommt man dort das Ergebnis meist erst nach einem bestätigenden zweiten Test, sodass das Ergebnis sehr zuverlässig ist und falscher Alarm in den allermeisten Fällen vermieden wird.

Guter Test

Die verfügbaren Selbsttests benö­tigen nur einen Tropfen Blut und zeigen das Ergebnis nach 15 Minuten. Die von der zuständigen Bundesbehörde, dem Paul-Ehrlich-Institut, überprüften Tests2 sind sehr zuverlässig: Richtig durchgeführt, entdecken sie fast alle HIV-Infektionen – aller­dings erst 12 Wochen nach der Infek­tion.3 Davor sind sie nicht sinnvoll und bieten keine Sicherheit. Außerdem muss der Test immer durch einen zweiten Labortest bestätigt werden, um falsche Diag­nosen weitgehend auszuschließen.

… unklares Ergebnis

Der Selbsttest stuft bei 0,2% bis 0,5% aller Testungen auch Gesunde als krank ein: Unter 1.000 HIV-positiv Getesteten ist also bei 2 bis 5 Personen das Ergebnis falsch. Das klingt erst einmal nach wenig. Entscheidend ist jedoch die Frage: Wenn der Test bei mir eine HIV-Infektion anzeigt, bin ich dann wirklich infiziert? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich wirklich krank bin?
Was viele nicht wissen: Die Antwort hängt stark davon ab, wie häufig eine Infektion in bestimmten Bevölkerungsgruppen überhaupt ist. HIV ist in der heterosexuellen Bevölkerung sehr selten. Bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) und Menschen, die sich Drogen spritzen, kommt sie öfter vor.4

100.000 „krank“ gemacht

Für die allermeisten Einwohner in Deutschland ist die Gefahr, an Aids zu erkranken, sehr gering. Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt, dass 2.700 Männer und Frauen in der heterosexuellen Bevölkerung nicht von ihrer HIV-Infektion wissen. Bei diesen rund 50 Millionen Menschen zwischen 15 und 65 Jahren beträgt das Risiko, unerkannt mit HIV infiziert zu sein, nur 0,0054%.
Das hat große Auswirkungen auf die Aussagekraft der Testergebnisse. Um das zu verdeutlichen, haben wir auf Basis dieser Zahl eine Modellrechnung gemacht: Würden alle 50 Millionen den Schnelltest machen, bedeutet das bei der optimistischen Annahme von nur 0,2% Fehleinstufungen „positiv“, dass der Test bei ungefähr 100.000 Menschen fälschlicherweise anschlagen würde.

Für Risikogruppen sinnvoller

Anders sieht das bei Menschen mit hohem Risiko aus. Einer Untersuchung in Hamburg und anderen europäischen Städten kann man entnehmen, dass rund 4% der MSM oder 9.200 Männer in Deutschland nicht von ihrer HIV-Ansteckung wissen.5 Hier ist das Testergebnis meist richtig. Fehlalarme sind selten (Tabelle).

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Risiken für HIV-Infektion
Ansteckung durch Vaginal- oder Analverkehr, selten bei Oralsex. Höhere Wahrscheinlichkeit der Ansteckung in Risikogruppen und bei häufig wechselnden Partnern sowie Sex in Ländern mit hohem Risiko wie im südlichen Afrika und Südostasien. Wer beim Drogenkonsum Spritzen gemeinsam nutzt, hat ein sehr hohes Risiko, sich anzustecken.

Und der Bedarf?

Der frei verkäufliche Test nützt nur der kleinen Gruppe von möglicherweise HIV-Infizierten, die nicht zum Arzt oder zu einer Beratungsstelle gehen würden. Voraussetzung ist aber, dass man sich der Möglichkeit einer HIV-Infektion überhaupt bewusst ist. Das trifft auf einige Risikogruppen eher zu, auf andere eher nicht. Bei einem „positiven“ Test­ergebnis lässt sich der Arztbesuch aber sowieso nicht vermeiden, um eine Infektion sicher zu erkennen oder auszuschließen.

Schlechte Aufklärung

Wenig hilfreich ist die undifferenzierte Propagierung des Selbsttests durch Minister Spahn: „Die fachlichen Informationen auf der neuen Webseite des Paul-Ehrlich-Instituts geben HIV-Selbsttestern wichtige Orientierung. Und sie helfen, Vorbehalte gegen die Tests abzubauen. Das ist wichtig. Denn je früher Betroffene von einer HIV-Infektion wissen, desto früher kann ihre Behandlung beginnen.“ Allerdings ist es wegen der vielen falsch positiven Ergebnisse bei Menschen mit geringem Risiko gar nicht wünschenswert, dass diese den Test machen.

Auch die vom Ministerium genannte Seite des Paul-Ehrlich-Instituts hilft da nicht weiter.2 Sie weist zwar auf mögliche Fehldiag­nosen hin und fordert bei einem positiven Testergebnis zu einem zweiten Test beim Arzt auf, aber über die Wahrscheinlichkeit eines falschen Testergebnisses wird kein Wort verloren.

Bei der Deutschen Aids-Hilfe heißt es dazu nur: „Die Selbsttests sind so empfindlich, dass sie manchmal ‚überreagieren‘. Sie zeigen dann ein positives Ergebnis an, obwohl keine Infektion vorliegt.“ Immerhin weist die Aids-Hilfe nicht nur auf die Notwendigkeit eines weiteren bestätigenden Tests hin, sondern bietet aktiv Beratung an.6

Besonders unüberlegt wirkt der Risikotester des „Walk in Ruhr“,7 einer gemeinsamen Einrichtung der Uni Bochum, des Gesundheitsamts, der örtlichen Aids-Hilfe und weiterer Organisationen. Egal wie viele Risikofaktoren man ankreuzt, die Empfehlung lautet stets „Du solltest einen HIV-Check machen.“ Da tröstet es ein wenig, dass die Einrichtung Selbsttests erst nach einer Beratung anbietet.

GPSP empfiehlt

Lassen Sie sich durch das neue Angebot eines HIV-Selbsttests nicht verunsichern. Wenn Sie kein hohes Risiko haben (siehe Kasten), ist die Wahrscheinlichkeit für ein falsch positives Ergebnis groß. Wenn Sie für sich nach Abwägung der Vor- und Nachteile entschieden haben, einen Test zu machen, tun Sie das bei einer Ärztin oder einem Arzt, beim Gesundheitsamt oder bei der Aids-Hilfe. Bei letzteren ist das auch anonym möglich.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2018 / S.07