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Screening auf Hepatitis B und C für alle ab 35

Wie sinnvoll ist diese Entscheidung?

Ende 2020 hat der Gemeinsame Bundesausschuss beschlossen, dass künftig gesetzlich Versicherte im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung einmalig auf Hepatitis B und C getestet werden können. Wie gut ist belegt, dass das tatsächlich nützt?

Gesetzlich Krankenversicherte ab 35 Jahre haben alle drei Jahre Anspruch auf eine umfangreiche Gesundheitsuntersuchung (vormals „Check-up 35“).

Ende November 2020 wurde der Untersuchungskatalog dieses Check-ups erweitert: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschloss, dass künftig bei der Gesundheitsuntersuchung auch einmalig mittels Blutuntersuchung getestet werden soll, ob die Untersuchten mit dem Hepatitisvirus B oder C infiziert sind.1

Wann Screening nützt

Die Logik hinter allen Früherkennungsuntersuchungen (Screenings): Wird eine Erkrankung frühzeitig erkannt und mit wirksamen Mitteln behandelt, lassen sich Komplikationen vermindern. Es gelten aber einige Voraussetzungen, damit diese Rechnung tatsächlich aufgeht: Es müssen Mittel mit nachgewiesenem Nutzen zur Verfügung stehen, und eine frühe Behandlung der Erkrankung muss tatsächlich erfolgreicher sein. Zudem braucht es Studienergebnisse, die verlässlich belegen, dass ein solches Screening mehr nützt als schadet. Und die Früherkennung muss diejenigen erreichen, die am meisten davon profitieren.

Langer Prozess

Der G-BA hat sich bereits seit 2016 mit dem Thema beschäftigt. Er beauftragte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit Gutachten zu Nutzen und Risiken des Screenings auf Hepatitis B3 und C4. Bei seinem Beschluss 2020 hat der G-BA zusätzlich Empfehlungen aus aktuellen internationalen Leitlinien herangezogen.

Das IQWiG war in seinen Gutachten (2018) zu einer sehr differenzierten Einschätzung gekommen: Für Hepatitis B und C fehlen Studien, die den gesamten Prozess der Früherkennung – also von der Diagnose bis zum Nutzen – durch eine frühzeitige Therapie untersucht haben. Allerdings gibt es einige Studien, die einzelne Schritte des Screenings und seiner Folgen, etwa die Genauigkeit der Untersuchungsmethode oder der Behandlungserfolg durch Medikamente, getestet haben. Und da gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Hepatitis B und Hepatitis C.

Nicht alle behandeln

Bei den meisten Menschen mit Hepatitis B heilt die akute Infektion folgenlos aus. Und nicht alle chronischen Infektionen müssen behandelt werden. Hinzu kommt, dass der Nutzen der verfügbaren Behandlungsoptionen nicht eindeutig nachgewiesen ist, so die Einschätzung des IQWiG. Der G-BA sieht das anders und hält die Belege für ausreichend.

Für Prävention und Früherkennung von Hepatitis B wird schon einiges getan: Seit 1995 gehört die Impfung gegen Hepatitis B zu den Standard-Impfungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Bei den besonders gefährdeten Menschen wie Schwangeren und medizinischem Personal gibt es bereits Screenings auf Hepatitis B. In internationalen Leitlinien, etwa in den USA,5 wird kein Screening der Allgemeinbevölkerung empfohlen, sondern lediglich Menschen aus bestimmten Risikogruppen, etwa solche, die sich Drogen spritzen, HIV-positiv sind oder aus Ländern kommen, in denen Hepatitis B weit verbreitet ist.

Höheres Risiko, bessere Therapie

Für ein Screening auf Hepatitis C sieht die Situation etwas anders aus: Zwar sind hierzulande nur relativ wenige Menschen infiziert, doch ist die Gefahr für einen chronischen Verlauf und Komplikationen, wie Leberzirrhose oder Leberkrebs, deutlich höher als bei Hepatitis B. Außerdem ist der Nutzen von Hepatitis-C-Medikamenten inzwischen recht gut belegt. Darum wird eine Behandlung für die Mehrheit der Infizierten empfohlen.

Letzteres nimmt der G-BA als Grundlage, um sich für ein Screening in der Allgemeinbevölkerung auszusprechen. Schaut man über den Tellerrand: Internationale Leitlinien kommen auf der gleichen Datenbasis zu recht unterschiedlichen Einschätzungen. Eine kanadische Leitlinie spricht sich angesichts der geringen Zahl der Betroffenen gegen ein Screening in der Allgemeinbevölkerung ohne erhöhtes Risiko aus, eine US-amerikanische Leitlinie hingegen dafür, weil Infizierte von der Behandlung profitieren.6 Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt ein bevölkerungsweites Screening auf Hepatitis C nur in Ländern mit weiter Verbreitung. Deutschland gehört eindeutig nicht dazu.

Und die Risikogruppen?

Schließlich ist auch zu bedenken: Am meisten würden von einem Screening auf Hepatitis B und C die Hochrisikogruppen profitieren, etwa Drogenabhängige, Inhaftierte oder Sexarbeiter:innen. Allerdings ist bekannt: Menschen mit niedrigem sozialem Status oder ungesünderem Lebensstil nehmen die Gesundheitsuntersuchung seltener in Anspruch.7 Dass im Rahmen der „Gesundheitsuntersuchung“ jetzt auf Hepatitis B und C getestet wird, kommt also nicht denjenigen zugute, die es am nötigsten hätten.

An dieser Stelle ist die Begründung des G-BA für die positive Einschätzung des allgemeinen Screenings nicht folgerichtig, sondern eher absurd: Es stünden schließlich Hepatitis-Tests in Drogenberatungsstellen zur Verfügung. Und Früherkennung, die sich speziell an Risikogruppen richtet, erreiche ja nur einen Teil der Betreffenden. Deshalb sei ein bevölkerungsweites Screening sinnvoll, weil damit alle erreicht werden. Von der Logik her würde dann vielleicht einiges für ein Screening-Angebot an Bahnhöfen sprechen, nicht aber für ein Screening in Arztpraxen, an dem die Risikogruppen vermutlich gar nicht teilnehmen werden.

Fazit

Die Entscheidung des G-BA ist mindestens für die Früherkennung von Hepatitis B eher fragwürdig. Aber auch mit dem Screening auf Hepatitis C, für das sich auf medizinischer Ebene zwar Argumente finden lassen, werden (leider) die Risikogruppen kaum erreicht, die von einer frühzeitigen Erkennung und Behandlung wahrscheinlich am meisten profitierten. Und diejenigen, die die Früherkennung erreicht, sind vermutlich nur sehr selten betroffen.

Früherkennung
GPSP 3/2017, S. 19

Gesundheitsuntersuchung
GPSP 5/2017, S. 19

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2021 / S.22