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Buchtipp: Tödliche Medizin und organisiertes Verbrechen

Peter Gøtzsche redet Klartext

Peter Gøtzsche begann seine Karriere in der Pharmaindustrie. Acht Jahre arbeitete der Biologe und Chemiker für verschiedene Firmen, zunächst als Pharmavertreter und später in der Forschung. Irgendwann hatte er die Nase voll von all dem Schönreden von Produkten mit geringem Nutzen und von der Unterdrückung unangenehmer Daten. Er studierte Medizin und ist heute ein international angesehener Wissenschaftler. Gøtzsche gründete 1993 und leitet bis heute das Nordische Cochrane Zentrum in Kopenhagen, das Nutzen und Schaden von Arzneimitteln bewertet. Es gibt wohl nur wenige Menschen, die mehr über die Manipulationen der pharmazeutischen Industrie wissen. Deshalb ärgert es ihn, dass die Firmen immer mit einem blauen Auge davonkommen. Sein Buch ist prall gefüllt mit Beispielen dazu.

Es ist beängstigend, wie viele Ähnlichkeiten zwischen dieser Industrie und der Mafia bestehen. Die Mafia verdient obszön viel Geld, ebenso diese Industrie. Die Nebenwirkungen des organisierten Verbrechens sind Tötungen und Tote, genau wie in der Pharmaindustrie. Die Mafia besticht Politiker und andere, genau wie die Pharmaindustrie. Der Unterschied besteht darin, dass die Leute in der Pharma­industrie – nun ja, ich würde sagen, 99 Prozent von ihnen – sich für gesetzestreue Bürger halten, nicht für Leute, die jemals eine Bank ausrauben würden.“

Peter Rost, vor seinem Ausstieg Marketingdirektor des Arzneimittelriesen Pfizer

Gøtzsches These: Es handelt sich um Wiederholungstäter, die Strafzahlungen in Milliardenhöhe in ihre Geschäftskalkulation einbeziehen, wenn sie zum Beispiel Medikamente zur Behandlung von Krankheiten anpreisen, für die sie gar nicht zugelassen sind, oder wenn sie erhebliche Risiken verharmlosen. Der Autor belegt das an den Taten der zehn größten Pharmafirmen der Welt und kommt zu dem Schluss: Erst wenn Manager wegen solcher Vergehen hinter Gitter wandern, wird sich etwas ändern.

Ausführlich nimmt sich Gøtzsche die klinischen Studien vor, die für die Zulassung von Medikamenten erforderlich sind: Ergebnisse, die schlecht fürs Geschäft sind, bekommt die Öffentlichkeit häufig nicht zu Gesicht. Eine weitere Methode, ein schlechtes Produkt in ein vorteilhafteres Licht zu rücken, ist die Veröffentlichung von nur einzelnen Ergebnissen oder die „Datenmassage“. Da wird nachträglich so lange ausgewertet, bis man doch noch ein gewünschtes Ergebnis aus den Daten herausfischt. So geschehen bei einer Studie zur Behandlung von Rückenmarkverletzungen mit hochdosierten Steroiden. Erst vierzehn Jahre später stellte sich durch eine weitere große Studie heraus, dass die Behandlung schadet und zu zusätzlichen Todesfällen führt. Gøtzsches Schlussfolgerung: „Wissenschaftliche Unehrlichkeit kann Menschen töten.“

Wenn es darum geht, schlechte Medikamente schönzureden, leisten auch medizinische Fachzeitschriften einen unrühmlichen Beitrag. Welcher Redakteur kann widerstehen, wenn eine Firma verspricht, für 100.000 US-Dollar Sonderdrucke des Artikels abzukaufen, falls ihre (zweifelhafte) Studie in der Zeitschrift veröffentlicht wird?

Aber auch Ärzte sind manchmal käuflich. „Wenn wir die Pharmaindustrie kritisieren, sollten wir nicht vergessen, dass es auf beiden Seiten Ganoven gibt“, so Gøtzsche. „Was tun Tausende von Ärzten, die Geld von der Industrie bekommen?“ – und das oft ohne (echte) Gegenleistung.

Die Zulassungsbehörden sollen uns eigentlich vor Schäden schützen, aber sie gehen zu zögerlich vor, wenn Firmen Informationen über schädliche Wirkungen unter den Tisch kehren. Verheimlichen und verzögern heißt die Strategie. Und wenn dann endlich (man musste sich mit dem Hersteller ja „einigen“) eine Warnung veröffentlicht wird, ist sie verwässert und beschönigend. Patienten werden weiter geschädigt. Ein Verbot erfolgt – wenn überhaupt – viel zu spät.

Warum dringt so wenig davon ans Tageslicht? Weite Teile des Medizinbetriebs seien korrumpiert, KritikerInnen würde das Leben schwer gemacht, so Gøtzsche. Die Palette der einschüchternder Maßnahmen reiche vom Entzug der Forschungsgelder über wissenschaftlichen Rufmord bis hin zu handfesten juristischen Drohungen.

Trotz der Faktenfülle lässt sich das Buch flüssig lesen und hat durchaus Unterhaltungswert. Angesichts von so viel Nachlässigkeit, Ignoranz und Niedertracht der verschiedenen Akteure überkommt einen jedoch mitunter ein übles Gefühl, so dass man kaum weiterlesen mag. Um den Schutz unserer Gesundheit vor riskanten oder wenig wirksamen Medikamenten ist es schlecht bestellt. Peter Gøtzsches Verdienst ist, das unmissverständlich klar zu machen.

Der Autor bleibt nicht bei der Kritik stehen, er macht auch handfeste Vorschläge zur Verbesserung der Situation. Manche davon sind leichter umzusetzen (unabhängige Fortbildung für Ärzte) als andere (keine klinischen Studien durch die Pharmaindustrie). Seit Jahren äußert Gøtzsche mutig Kritik und mahnt Veränderungen an. Damit macht er sich nicht nur Freunde. Aber das Buch „Tödliche Medizin“ erhielt kürzlich von der British Medical Association den ersten Preis in der Kategorie „Grundlagen der Medizin“.

Gøtzsche P (2014) Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität. München: Riva Verlag, 24,99 €

Original: Deadly Medi­cines and Organised Crime. London: Radcliffe, 24,99 £

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 01/2015 / S.16