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©Annika_Ucke

Vergiftete Warnungen

Im vergangenen Jahr breitete sich im Internet, in sozialen Medien wie Facebook oder per WhatsApp die Warnung aus, dass bestimmte, sehr weiße und glänzende Tabletten mit dem Schmerzmittel und Fiebersenker Paracetamol mit einem gefährlichen Virus verseucht seien – mit dem Machupo-Virus. Man solle diese Nachricht mit möglichst vielen Menschen teilen, um Leben zu retten. Diese Art von Kettenmitteilung nach dem Schneeballprinzip, die vor angeblich verunreinigten Tabletten warnt, wird auf diese Weise selbst zu einem Virus. Sie breitet sich rasch und unkontrolliert aus, und sie führt zu Verunsicherungen.

Die Warnung enthält die Abbildung einer Blisterpackung von P-500-Paracetamol-Tabletten und bekommt dadurch einen offiziellen Anstrich. Die schlechte Übersetzung des auch in Englisch und Spanisch verbreiteten Textes macht allerdings stutzig. Auch Passagen wie „Erinnere dich daran, dass Gott denen hilft, die anderen helfen“ bestärkt den Verdacht, dass es sich um eine Falschmeldung, einen schlechten Scherz oder um eine Mitteilung von Verschwörungsanhängern handelt. Immerhin sahen sich Behörden in Indonesien und Malaysia veranlasst, offiziell darauf hinzuweisen, dass die Warnungen nicht der Wahrheit entsprechen.

Internet und soziale Medien bieten ein Forum für Falschmeldungen (fake news) jeder Art – vom angeblichen Tod Prominenter bis hin zu Heilversprechungen –, die nicht immer leicht als solche zu erkennen sind. Wirklich gefährlich und sogar lebensbedrohlich können Versprechungen für Nahrungsergänzungsmittel sein, die als rein pflanzlich und natürlich beschrieben werden, aber mit stark wirkenden chemischen Wirkstoffen gepanscht sind. GPSP veröffentlicht seit mehr als einem Jahrzehnt Warnungen vor gepanschten Produkten, die als solche durch Untersuchungen im Labor entlarvt worden sind. Die Quellen von GPSP sind Veröffentlichungen von Behörden aus vielen Regionen der Welt, die ihre Bürger und Bürgerinnen vor diesen riskanten Produkten warnen. Der Vertrieb der Produkte über das Internet macht jedoch nicht vor nationalen Grenzen halt. Vor allem US-amerikanische, kanadische, neuseeländische und schweizerische Behörden sowie einige asiatische, etwa in Hongkong, veröffentlichen solche Warnungen, bisweilen tun dies auch deutsche Verbraucherzentralen.

Den Anbietern gepanschter Produkte geht es um möglichst hohe Verkaufszahlen. Diese werden zum einen durch unrealistische Wirksamkeitsversprechungen für die angeblichen Naturprodukte gefördert. Zum anderen sollen offensichtlich mit den auf der Packung nicht angegebenen – also gepanschten – stark wirksamen Bestandteilen Effekte erzielt werden, die sich mit pflanzlichen Produkten nicht erzielen lassen. Wahrscheinlich erhofft man sich dadurch eine Art Flüsterpropaganda nach dem Motto, man habe ein rein pflanzliches Produkt entdeckt, das ganz toll wirkt…

In den zwei Monaten seit der letzten Ausgabe von GPSP haben wir 15 weitere derartige illegale Produkte aufgespürt. Im Internet (www.gutepillen-schlechtepillen.de/heft-archiv/gepanschtes/) finden Sie jetzt Näheres zu mehr als 1.900 illegalen Nahrungsergänzungsmitteln. Damit haben Sie Zugriff auf die weltweit umfangreichste öffentlich zugängliche Datenbank zu gepanschten Produkten. Doch auch diese Fülle an Warnhinweisen zeigt leider nur die Spitze des Eisbergs, weil eine systematische Überprüfung von Nahrungsergänzungsmitteln fehlt.

Auf der GPSP-Webseite ist „Gepanschtes“ kostenfrei einsehbar. Aber sichern Sie unsere Arbeit per Spende oder Geschenk-Abo.

Mit chemischem Appetithemmer und/oder Abführmittel gepanscht

Produkt: auf der Packung nicht deklarierte Stoffe

  • Beautiful Lose Weight: Sibutramin + Phenolphthalein
  • Jimpness Beauty Fat Loss Kapseln: Phenolphthalein (bei früherer Überprüfung vier Jahre zuvor als gepanscht mit Sibutramin + Phenolphthalein + Sildenafil aufgefallen)
  • Meixing Kapseln: N-Desmethylsibutramin

Sibutramin: Sibutramin war 1999 bis 2010 als verschreibungspflichtiges Arzneimittel (Reductil®) im Handel. Dann musste es – längst überfällig – weltweit wegen seines Herz-Kreislauf-schädigenden Potenzials aus dem Handel gezogen werden (GPSP 2/2010, Seite 8 – https://gutepillen-schlechtepillen.de/kurz-und-knapp-endlich-sibutramin-reductil-vom-markt/). Sibutramin kann den Blutdruck und die Herzschlagrate erhöhen und gefährdet vor allem Menschen mit koronarer Herzkrankheit (Angina pectoris), Herzrhythmusstörungen oder Schlaganfall in der Vorgeschichte. Es drohen Herzinfarkt, Herzstillstand, Schlaganfall u.a. Auch wenn gleichzeitig bestimmte andere Medikamente eingenommen werden, sind lebensbedrohliche Folgen möglich.

Bei Desmethylsibutramin handelt es sich um eine chemische Variante von Sibutramin, für die ausreichende Erfahrungen zu erwünschten und unerwünschten Effekten fehlen. Vor der Einnahme ist genauso zu warnen wie vor der Muttersubstanz Sibutramin.

Phenolphthalein: Die abführende Chemikalie Phenolphthalein wurde vor Jahren z.B. als Darmol® Abführschokolade verkauft. Das Abführmittel kann einen vorübergehenden Gewichtsverlust vorgaukeln, weil der Darm entleert wird. Es macht aber nicht schlank, sondern vielleicht sogar krank: Arzneimittel mit Phenolphthalein sind nämlich bereits vor vielen Jahren wegen ihres krebsauslösenden Potenzials vom Markt verschwunden. Wer langfristig ein Phenolphthalein-haltiges Mittel einnimmt, riskiert Magen-Darm-Störungen, Herzrhythmusstörungen, Krebs und andere unerwünschte Folgen.

Mit chemischen Potenzmitteln gepanscht

Produkt: auf der Packung nicht deklarierte Stoffe

  • Bull 1800 mg Kapseln: Sildenafil
  • Chao Jimengnan 150 mg Tabletten: Sildenafil
  • Jaguar 1100: Sildenafil
  • Paparazzzi S 800: Sildenafil + Tadalafil
  • Poseidon Platinum: Sildenafil
  • Slam Natural Formula 29000 mg Kapseln: Tadalafil + Dapoxetin
  • Tiger 5000: Sildenafil + Tadalafil
  • Titamium 4000: Sildenafil + Tadalafil

Sildenafil ist der Wirkstoff des Arzneimittels Viagra® (auch in zahlreichen Generika erhältlich) und Tadalafil der Wirkstoff von Cialis®. Bei Desmethylcarbodenafil, Dithiodesmethylcarbodenafil und Aminotadalafil handelt es sich um chemische Abwandlungen von Sildenafil bzw. Tadalafil, für die ausreichende Erfahrungen zu erwünschten und unerwünschten Effekten fehlen. Die Panscherei von Nahrungsergänzungsmitteln mit solchen verschreibungspflichtigen Arzneiwirkstoffen gegen Erektionsstörungen ist besonders heimtückisch und kriminell. Sie gefährdet Verbraucher ganz erheblich, denn manche Menschen dürfen gerade solche chemischen Erektionsförderer nicht einnehmen. Dazu gehören Herzkranke, die gleichzeitig Nitropräparate wie Isosorbiddinitrat (ISDN) oder ähnliche Arzneimittel gegen Angina pectoris benötigen (GPSP 2/2013, S. 4https://gutepillen-schlechtepillen.de/angina-pectoris/). In Kombination mit einem chemischen Impotenzmittel wie Sildenafil oder Tadalafil und deren Abkömmlingen kann der Blutdruck lebensbedrohlich abfallen. Vor allem wer aus medizinischen Gründen chemische Erektionsförderer meiden muss, erhofft sich jedoch möglicherweise Hilfe von den als harmlos beworbenen Nahrungsergänzungsmitteln und ist unwissentlich gefährdet, wenn er an ein gepanschtes Produkt gerät.

Dapoxetin: Das ebenfalls verschreibungspflichtige Dapoxetin ist ein Wirkstoff aus der Reihe der Antidepressiva, der als Arzneimittel (Priligy®) gegen vorzeitigen Samenerguss angeboten wird. Dapoxetin kann häufig Kopfschmerzen, Übelkeit und andere unangenehme Störwirkungen auslösen. Menschen mit Herzerkrankungen oder Kreislaufstörungen beim Aufstehen dürfen es nicht verwenden. Auch wer Antidepressiva einnimmt, die dem Dapoxetin chemisch nahe stehen, muss damit rechnen, dass sich die unerwünschten Wirkungen verstärken (GPSP 4/2009, Seite 6; https://gutepillen-schlechtepillen.de/mittel-gegen-vorzeitigen-samenerguss-nebenwirkung-vermarktet/). Sich vor solchen gefährlichen Effekten zu schützen, ist jedoch nicht möglich, wenn Wirkstoffe wie Dapoxetin als Inhaltsstoffe nicht deklariert sind.

Mit chemischem Antidepressivum gepanscht

Produkt: auf der Packung nicht deklarierte Stoffe

  • Adipessum Miracle Slimming Kapseln: Fluoxetin

Bei Fluoxetin, einem Wirkstoff gegen Depressionen, machen sich die kriminellen Panscher offensichtlich zahlreiche unerwünschte Wirkungen dieses Wirkstoffes aus der Reihe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) zunutze, um eine Gewichtsreduzierung zu bewirken: hauptsächlich Appetitlosigkeit, Übelkeit, Durchfall und Veränderungen des Geschmackempfindens. Eine anhaltende Verringerung des Körpergewichts oder gar eine schlanke Linie ist durch solche Effekte allerdings nicht möglich. Hinzu kommen unerwünschte Effekte wie Schlafstörungen, Desorientiertheit, Störung der Sexualfunktion und vieles mehr.

Mit chemischem Kortisonabkömmling gepanscht

Produkt: auf der Packung nicht deklarierte Stoffe

  • Chong Cao Dan pills: Dexamethason + Chlorphenamin + Furosemid
  • Wan Ling Ren Sem Chin Kuo pills: Dexamethason

Dexamethason ist ein stark wirkender Kortison-Abkömmling und wird ab und zu in angeblich natürlichen Nahrungsergänzungsmitteln entdeckt. Dexamethason ist aus gutem Grund verschreibungspflichtig. Es kann beispielsweise die Fähigkeit des Körpers herabsetzen, Infektionen abzuwehren, den Blutdruck sowie den Blutzuckerspiegel erhöhen und psychische Probleme auslösen. Nach längerer Einnahme löst abruptes Absetzen Entzugserscheinungen aus. Vielfältige Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen sind möglich.

Clorphenamin ist ein älteres, relativ stark müde machendes Mittel gegen Allergien, das als unerwünschte Wirkungen zudem Koordinationsstörungen, Schwindel, Mundtrockenheit u.a. auslösen kann.

Furosemid wirkt stark entwässernd. Typische unerwünschte Wirkungen betreffen daher den Flüssigkeitshaushalt des Körpers sowie den Gehalt an Elektrolyten wie Natrium und Kalium im Blut.

Mit chemischen Schmerzmitteln gepanscht

Produkt: auf der Packung nicht deklarierte Stoffe

  • Yunnan Feng Shi Ling Kapseln: Paracetamol

Paracetamol ist ein rezeptfreies Schmerzmittel, dessen Dosierungen genau eingehalten werden müssen, da Überdosierungen zu Leberschäden führen können (GPSP 3/2012, Seite 5). Gepanschte Produkte, in denen der Paracetamol-Bestandteil und dessen Dosis verschwiegen werden, gefährden daher die Anwender, insbesondere wenn sie zusätzlich Paracetamol-haltige Schmerz- oder Erkältungsmittel einnehmen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2018 / S.27