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©olya_steckel/iStock

Gentests bei Depressionen

Helfen Tests bei der Wahl des Medikaments?

Wollen Ärzte eine Depression medikamentös behandeln, kommen verschiedene Wirkstoffe in Frage. Doch die Auswahl des am ehesten geeigneten Mittels ist im Praxisalltag kompliziert. Können die derzeit bei Ärzten stark beworbenen neuen Gentests vor Beginn der Therapie die Situation verbessern?

Wer sich mit Hunden etwas auskennt, der weiß, dass sie gerne ein Loch im Gartenzaun suchen. Manchmal finden sie ein Schlupfloch ganz rasch, manchmal weniger schnell, manchmal gibt es keins. So ähnlich ist die Situation bei der medikamentösen Behandlung einer Depression. In ihrer antidepressiven Wirksamkeit unterscheiden sich die Wirkstoffe kaum, am ehesten noch in ihren unerwünschten Wirkungen.

Was den Nutzen angeht, ist der Unterschied zwischen Placebo-Effekt und echtem Substanzeffekt bei allen Mitteln ziemlich bescheiden. Aber die ärztliche Erfahrung zeigt, dass ein einzelner Patient auf das eine Mittel besser anspricht als auf ein anderes. Auch hat der eine diese, der andere jene unerwünschten Wirkungen.

Genetisch verschieden

Solche Unterschiede könnten z.B. an den Genen liegen. Zum einen ist es möglich, dass das jeweilige Medikament genetisch bedingt vom Stoffwechsel unterschiedlich abgebaut wird. Zum anderen könnten sich genetisch bedingt die Effekte an den Wirk­orten im Gehirn unterscheiden – so könnten dort die Rezeptoren für Nervenbotenstoffe wie Serotonin oder Noradrenalin mehr oder weniger ansprechen.

Es liegt also nahe, Tests zu entwickeln, die solche genetisch bedingten Unterschiede aufspüren können und so die Wirksamkeit eines Arzneistoffs individuell besser voraussagen. Gentests – meist auf der Basis von Blutproben – werden in der Medizin bereits eingesetzt, zum Beispiel bei Patientinnen mit Brustkrebs. GPSP hat darüber kritisch berichtet (GPSP 2/2014, S. 16).

Derzeit werden für die Psychiatrie vor allem zwei Tests stark beworben, die eine Voraussage über ein geeignetes Antidepressivum und dessen optimale Dosierung erlauben sollen. Es fehlen aber zufriedenstellende Belege für ihre Brauchbarkeit.

STADA Diagnostik

Die Firma Stada bietet den Test STADA Diagnostik Antidepressiva zum Preis von 395 € an. Patienten müssen ihn selbst bezahlen, denn die gesetzlichen Krankenkassen erstattet ihn nicht (IGeL). Ein Arzthonorar von zirka 100 € kommt noch hinzu.

Die Firma bewirbt den Test unter anderem mit Aussagen wie „Zeitersparnis durch schnelleres Erreichen des Therapieziels“ oder „Auf unnötiges Ausprobieren können Sie gerne verzichten“.1 Auch könne der Arzt zu jedem Zeitpunkt der Therapie prüfen, ob der Patient oder die Patientin auf das Medikament ansprechen.

Wie funktioniert der Test? An der Verstoffwechselung vieler Antidepressiva sind in der Leber bestimmte Enzyme 2 beteiligt. Ungefähr jeder zehnte Mitteleuropäer hat ein von der übrigen Bevölkerung abweichendes Enzymprofil – er oder sie baut deshalb bestimmte Medikamente schneller oder langsamer ab. Das kann zur Wirkungslosigkeit des Arzneistoffs führen oder unerwünschte Wirkungen verstärken.

Basierend auf den Testergebnissen übermittelt das Labor dem Arzt Vorschläge, welches Antidepressivum in welcher Dosierung für den getesteten Patienten geeignet erscheint.

Das hört sich gut an. Aber der Wermutstropfen kommt: Bislang gibt es keine klinischen Studien mit ausreichend vielen Patienten, die einen besseren Behandlungserfolg durch die vorherige Tes­tung von Enzymen belegen.3,4

Bewährt ist dagegen ein anderes Verfahren: Man kann im Blut die Konzentration eines Antidepressivums und seiner Stoffwechselprodukte messen und die Therapie entsprechend anpassen.5 Diese Form der Therapiekontrolle ist gut untersucht, kostet nur einen Bruchteil und wird auch von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet.

ABCB1-Test

Dieser Test wurde von der HMNC Brain Health Holding GmbH entwickelt. Untersucht wird ein Gen, das die Wirkung von Medikamenten im Gehirn beeinflussen könnte. Denn es sorgt dafür, dass fremde Substanzen nicht so leicht vom Blut ins Gehirn übertreten können. Der Mechanismus ist Teil der so genannten Blut-Hirn-Schranke. Dabei ist der Auswärtstransport ein wichtiger Faktor.

Der ABCB1-Test soll einen Anhalt dafür geben, in welchem Maße ein ins Gehirn hineintransportiertes Medikament wieder heraustransportiert wird. Er misst dafür zwei von 1.000 Genvarianten, die diesen Prozess regulieren.

Wenn der Auswärtstransport genetisch bedingt besonders effektiv ist, bleibt nur wenig Wirkstoff im Gehirn. Das Medikament würde infolgedessen bei normaler Dosierung schlechter wirken und müsste höher dosiert werden. Wenn der Auswärts­transport dagegen schwach ist, reichert sich der Wirkstoff im Gehirn an, verbunden mit einem höheren Risiko an unerwünschten Wirkungen. Diesen Schluss legen zumindest Tierversuche nahe.6

Da sich die Konzentrationen von Arzneistoffen im Gehirn bisher nicht messen lassen, erscheint ein solcher Test zunächst attraktiv. Rein theoretisch könnte sich dadurch die Chance einer effektiven Behandlung erhöhen. Ob diese Hoffnung realistisch ist, muss aber zunächst in großen vergleichenden Studien geklärt werden. Noch sind die Studienergebnisse zu widersprüchlich, als dass man eine Routineanwendung des Tests empfehlen könnte.
Ein weiteres Problem: Dieser Test misst – wie erwähnt – grade mal zwei von über 1.000 möglichen Genvarianten dieses Auswärts­transporters. Die Kosten von 168 € plus Arzthonorar werden ebenfalls nicht von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet.

Bisherige Studien zum praktischen Nutzen ähnlicher genetischer Tests haben widersprüchliche Ergebnisse geliefert. Vor zwei Jahren wurden die Resultate von 16 derartigen Studien gemeinsam ausgewertet (Metaanalyse).7 Dabei wurden immerhin sechs Genvarianten berücksichtigt, und dennoch ergab sich nur in der Hälfte ein Zusammenhang zwischen dem Ergebnis des Gentests und dem Behandlungserfolg. Eine weitere große Studie mit fast 700 Patienten berücksichtigte zehn Genvarianten des Transporters, von denen aber nur eine Variante eindeutig mit dem Behandlungserfolg zusammenhing8 – genau diese Gen­variante ist aber in dem Testkit der HMNC Holding GmbH nicht enthalten.

Fazit

Diese Beispiele verdeutlichen: Nicht alles, was man im Labor messen kann, nützt Patienten auch wirklich. Es ist durchaus sinnvoll, bei einer Behandlung mit Antidepressiva die Wirkstoffkonzentration im Blut zu ermitteln, wenn Medikamente nicht wirken oder Patienten über ungewöhnlich starke unerwünschte Wirkungen klagen.

Gentests auf Enzymvarianten sind nur in Ausnahmefällen sinnvoll, beispielsweise wenn die direkte Messung des Antidepressivums im Blut auffallend niedrige oder hohe Konzentrationen ergibt, die sich nicht ohne weiteres erklären lassen. Diese Entscheidung kann aber nur Ihre Ärztin oder Ihr Arzt treffen.9

Gute alte Pille: Amitriptylin
GPSP 4/2015, S. 8

  1. Stada (2017) Patientenbroschüre Test Antidepressiva (Stand 5/2017) https://www.stada-diagnostik.de/fileadmin/user_upload/11_stada-diagnostik.de/05_Download/patientenbroschuere-diagnostik_antidepressiva_140304.pdf
  2. Die Enzyme CYP450 2D6 und CYP450 C19
  3.  arznei-telegramm® (2015) ea-t 4/2015a
  4. Bschor T u.a. (2017) Nervenarzt; 88, S. 495
  5. Hiemke C u.a. (2012) Pharmacopsychiatry; 44, S. 195
  6. Uhr M u.a. (2000) Neuropsychopharmacology; 22, S. 380
  7. Breitenstein B u.a. (2015) Am J Genet B Neuropsychiatr Genet; 168B, S. 274
  8. Schatzberg AF u.a. (2015) Am J Psychiatry; 172, S. 751
  9. DGPPN u.a. (Hrsg.) (2015) S3 Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression. Langfassung 2.Auflage. Version 1, Nov. www.depression.versorgungsleitlinie.de

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2017 / S.22