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©Annika Ucke

Ruhelose Beine zu später Stunde: Restless Legs Syndrom

Unter ruhelosen und kribbelnden – Beinen (engl. Restless Legs Syndrom, RLS) leiden vor allem ältere Menschen und überwiegend Frauen. Die Ursachen sind unterschiedlich und nur teilweise erforscht. Falls Bewegung und gezielte Verhaltensstrategien nicht helfen, können bei hohem Leidensdruck Medikamente mehr oder weniger gut Linderung verschaffen.

Wer sich vor allem abends und nachts mit ruhelosen Beinen quält und um den erholsamen Schlaf gebracht wird, hat manchmal Verwandte mit ähnlichen Problemen. Es gibt offensichtlich für RLS eine ererbte Basis, allerdings nicht ein spezielles „zuständiges“ Gen.

Die sehr lästige Störung beginnt – sofern sie sich familiär häuft – manchmal schon vor dem 30. Lebens­jahr, kommt sogar bei Kindern und Jugendlichen vor und kann mit ADHS („Zappel­philipp“) verwechselt werden. RLS-Betroffene gehen meist erst nach dem 50. Lebensjahr zum Arzt – wohl weil die Beschwerden mit der Zeit zunehmen.1

Klare Hinweise auf RLS

Für die Diagnose benötigt der Arzt oder die Ärztin keine Apparate, sondern lediglich die Antworten auf ganz schlichte Fragen:

  • Haben Sie Bewegungsdrang in den Beinen?
  • Treten diese Beschwerden ausschließlich in Ruhe auf oder verstärken sie sich in Ruhe?
  • Bessert oder beseitigt Bewegung sie?
  • Nehmen diese Beschwerden abends oder nachts zu?

Wenn alle Fragen mit Ja beantwortet werden, ist die Diagnose RLS eindeutig. Dennoch wird das Syndrom in der Hausarztpraxis sehr oft nicht erkannt.2 Es kann mit anderen Schlafstörungen verwechselt werden, oder auch mit so genannten Polyneuropathien.3 Das sind schmerzhafte Empfindungsstörungen mehrerer Nerven. Sie kommen bei Diabetikern häufig vor. Menschen, die es trifft, sprechen oft von einem Ziehen, Kribbeln oder von Verkrampfungen in den Beinen. Solche Beschwerden führen unter Umständen auch zur Verwechselung mit einem Ischiasproblem. Am stärksten leiden RLS-Patienten üblicherweise zwischen Mitternacht und 2 Uhr früh. Manchmal entscheidet der Arzt oder die Ärztin eine solche Diagnose durch eine Untersuchung im Schlaflabor abzusichern.

Schwierige Behandlung

Selten gibt es eine medizinisch fassbare Ursache, etwa einen Eisenmangel, der sich gezielt behandeln lässt. Auch bestimmte Medikamente können RLS auslösen, z.B. einige Psychopharmaka – darunter Antiepileptika und Neuroleptika, die nicht nur Patienten mit einem Anfalls­leiden verordnet werden, sondern auch Schizophreniekranken und Patienten mit chronischen Schmer­zen. Das gegen Übelkeit eingesetzte Metoclopramid hat ebenfalls manchmal diese unerwünschte Wirkung. Weil es diverse Bewegungsstörungen hervorrufen kann, wurde sein Anwendungsbereich kürzlich von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA eingeschränkt.4 Sofern Arzneimittel im Verdacht stehen, RLS auszulösen, lohnt die Suche nach einem Ersatzmedikament. Aber bei vielen Betroffenen findet sich keine medikamentös bedingte Ursache. Ärzte sprechen dann von einer „idiopathischen“ Erkrankung. Bei leichten Beschwerden durch RLS sind keine Arzneimittel nötig.

Kaltes Duschen oder trockenes Bürsten der Beine hilft oft. Auch ein Spaziergang abends oder nachts, Fahrradfahren oder der Heimtrainer können Linderung verschaffen. Dabei sollte es allerdings nicht sportlich, sondern gemütlich zugehen, sonst wird das Wiedereinschlafen schwierig.

Für Akupunktur ist übrigens kein Nutzen belegt.5 Das gleiche gilt auch für frei verkäufliche Schmerzmittel, Chinin oder Magnesium. Kaffee oder Alkohol verstärken bei manchen Menschen die Beschwerden.

Damit sich RLS bessert, verordnen Ärzte Medikamente in niedriger Dosierung, die sich bei Parkinsonkranken bewährt haben. Diese Mittel beeinflussen bestimmte Nervenbotenstoffe, genauer gesagt: den Dopaminstoffwechsel im Gehirn. Manchen, die unter RLS leiden, hilft es, ein Medikament für den eventuellen Bedarf griffbereit zu haben (Notfall-Medikament).

In Deutschland sind als dopaminerge Wirkstoffe Levodopa, Pramipexol und Ropinirol sowie als Pflaster Rotigotin für Patienten mit mittelschwerem und schwerem RLS zugelassen. Ob und wie stark die Präparate helfen, variiert von Mensch zu Mensch. Wie bei vielen anderen Medikamen­ten ist auch hier mit einem ausgeprägten Placeboeffekt zu rechnen.6  Bereits das Bewusstsein, eine wirksame Substanz genommen zu haben, kann die Beschwerden lindern. Bei einem von vier Betroffenen, die Rotigotin-Pflaster benutzen, lassen die Symptome auf einer internationalen RLS-Messskala um die Hälfte nach. Bei Pramipexol tritt dieser Effekt nur bei einem von sechs Betroffenen ein.7 Viele Menschen mit RLS verspüren nur wenig Besserung, obwohl sie ihr Medikament einnehmen. Andere brechen die Therapie wegen unerwünschter Wirkungen ab.

In schwierigen Situationen entscheiden sich Ärzte, mehrere Medikamente zu kombinieren.8 Manche Ärzte verordnen Arzneimittel, weil sie bei dem ein oder anderen Patienten wirksam waren, obwohl sie bei uns nicht für RLS zugelassen sind. Dazu gehören die Wirkstoffe Gabapentin, Pregabalin und bestimmte Opioide. Opioide sind gut wirksame starke Schmerzmittel, die auch zur Linderung von RLS beitragen können, denn die Symptome sind manchmal unerträglich und auch schmerzhaft. Nach einer sorgfältigen Analyse der aktuellen Datenlage hat die Amerikanische Akademie für Schlafstörungen gestufte Therapieempfehlungen für schwer erträgliche Formen von RLS publiziert:9

Vorrang haben die Wirkstoffe Pramipexol und Ropinirol. (Rotigotin wird nicht erwähnt, es ist in den USA nicht zugelassen.) Als Mittel zweiter Wahl werden Levodopa, Opioide und Cabergolin eingestuft.  Cabergolin ist aber wegen unerwünschter Wirkungen am Herzen in Deutschland für RLS nicht zugelassen. Die schwächste Empfehlung bekommen neben einigen anderen Mitteln die Wirkstoffe Gabapentin und Pregabalin.

GPSP gibt zu bedenken: Auch wenn die Wirksamkeit von Levodopa im Vergleich zu Substanzen wie Pramipexol – einem Dopamin-ähnlichen Stoff – als geringer eingeschätzt wird, so hat Levodopa doch den Vorteil, dass es besser verträglich ist.

Natürlich können Ärzte vorüber­gehend auch Schlafmittel wie Zolpidem (GPSP 2014/1, S. 16) verordnen, damit man trotz RLS besser schläft. Allerdings ändern Schlaf­mittel nichts am Problem der unruhigen Beine abends und während der Nacht.

Verträglichkeit

Leider haben die Arzneimittel, die gegen RLS helfen sollen, zum Teil erhebliche unerwünschte Wirkungen (siehe Tabelle). Dazu gehört unter anderem die Verschlimmerung (Augmentation). Der Begriff umschreibt, dass sich die Beschwerden trotz oder sogar durch die Arzneimittel­therapie zeitlich und bezogen auf die betroffenen Körperregionen ausbreiten. Ein anderer unangenehmer Effekt ist die Störung der Impulskontrolle. In der Medizin ist damit gemeint, dass der Betroffene auch bei bestem Willen seine Emotionen – zum Schaden seiner selbst und anderer – nicht kontrollieren kann.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2014 / S.04