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© Jörg Schaaber

Nichtraucher werden: Ja, ich will

Wer von der Zigarette loskommen will, braucht vor allem eins: Motivation. Die meisten schaffen es dann ohne medikamentöse Unterstützung, oft allerdings erst nach mehreren Versuchen. Arzneimittel können die Erfolgschancen erhöhen. Ihr Nutzen wird meist überschätzt.

Machen wir uns nichts vor: Rauchen macht krank und verkürzt das Leben.1 Gegenbeispiele wie der pausenlos qualmende und inzwischen über 90-jährige Altbundeskanzler Helmut Schmidt dürfen nicht darüber hinwegtäuschen. So starben britische Ärzte, die geraucht hatten, etwa um 10 Jahre früher als ihre nicht rauchenden Kollegen.2 Bereits ein bis vier Zigaretten pro Tag erhöhen das Risiko für Lungenkrebs deutlich.3 Mit jeder weiteren Zigarette steigt die Gefährdung für verschiedene Krebsarten sowie für Lungen- und Gefäßerkrankungen.

Mit mehr Gesundheit belohnt

Positiv ist aber: Wer vom Rauchen loskommt, wird belohnt (GPSP 6/2011 S. 7). Rauchstopp im Alter von 60 Jahren bringt noch einen „Zugewinn“ an Lebenszeit von etwa drei Jahren. Wer als 30-Jähriger aufhört, hat eine weitgehend normale Lebenserwartung.2 Dass es so oft schwer fällt, sich vom Tabak zu trennen, kann am sozialen Umfeld, am Stress oder an Entspannungsroutinen liegen, die Zigaretten einschließen – aber ganz besonders auch daran, dass Rauchen abhängig macht. Daran ist vor allem Nikotin Schuld.

Mit dem inhalierten Qualm gelangt Nikotin innerhalb weniger Sekunden über das Blut in das Gehirn. Es bindet dort an bestimmte Rezeptoren von Nervenzellen und löst eine Art Wohlgefühl aus. Je nach Situation wird das als entspannend oder stimulierend empfunden – etwa eine halbe Stunde lang. Bleibt Nikotin-Nachschub aus, können Verstimmung und Misslaunigkeit folgen. Körperlich machen sich die Entzugserscheinungen durch Schlafstörungen, Übelkeit und Unruhe bemerkbar, verbunden mit dem dringenden Verlangen nach Nikotin, dem so genannten Craving.

Meist geht es ohne Arzneimittel

Wer vom Tabak lassen will, sollte wissen: Das schaffen die meisten Raucherinnen und Raucher ohne medikamentöse Unterstützung, allerdings oft erst nach mehreren Versuchen. Im Durchschnitt braucht man vier Anläufe.4 Wichtig ist dabei die Motivation. Oft helfen besondere Anlässe, bei Frauen etwa der Kinderwunsch oder eine Schwangerschaft, bei sportlichen Menschen das Empfinden, dass Kurzatmigkeit die Leistung beschränkt. Oder eine neue Beziehung zu einem Nichtraucher oder einer Nichtraucherin ist der Grund. Auch eine Lungenkrebserkrankung in der Bekanntschaft oder die hohen Ausgaben für Tabakprodukte können Anlass sein. Außerdem: Raucher gelten heutzutage nicht mehr als weltgewandt und cool, Raucherinnen nicht mehr als mondän oder emanzipiert. Und es ist kein Vergnügen, vor der Kneipe oder auf Bahnsteigen in die Raucherecke verbannt zu sein. Ein rauchfreier Arbeitsplatz und rauchfreie Wohnungen empfinden auch viele Raucher als angenehm und können ihren Wunsch aufzuhören bestärken. Und Freunde und Kollegen, die positives Feedback geben oder sogar gleichzeitig den Absprung suchen, können motivieren und unterstützen.

Nikotinersatz – gut untersucht

Nikotinersatzpräparate, also Arzneimittel, die reines Nikotin enthalten, gibt es rezeptfrei in der Apotheke als Pflaster, Kaugummis, Lutschtabletten oder Inhaler. Am besten sollte man sofort mit dem Rauchen aufhören, wenn man sich für Nikotin-haltige Arzneimittel entschieden hat (siehe S. 7). Die Präparate verringern Entzugssymptome und Rauchverlangen. Und sie schützen vor den zahlreichen Schadstoffen im Tabakqualm. Anders als beim Rauchen flutet das Nikotin aus Pflastern langsam und gleichmäßig an. Auf diese Weise bleiben jene Nikotinspitzen im Blut aus, die einen „Kick“ auslösen können.5 Diese allmähliche Freisetzung von Nikotin soll ein Ausschleichen erleichtern.

Qualmfreie Kneipen, Restaurants und Verkehrsmittel finden auch viele Raucher gut. In solchen Umgebungen fällt es leichter, auf das Ritual, sich eine anzustecken, zu verzichten.

Von allen Entwöhnungsmitteln ist Nikotinersatz am besten untersucht. Eine gemeinsame Auswertung von 132 aussagekräftigen Studien ergibt eine positive Tendenz.6 Alle Studienteilnehmer verwendeten Nikotin-Präparate, die meisten Kaugummis oder Pflaster, oder ein Scheinmedikament, und alle erhielten zusätzlich Beratung oder Psychotherapie. Solche unterstützenden Maßnahmen dürften außerhalb von Studien, also im Alltag, eher die Ausnahme sein. Die Ergebnisse fallen daher sicher zu positiv aus.

Zu den Ergebnissen: Nikotin- Präparate erleichtern den Rauchstopp im Vergleich zum Scheinmedikament deutlich, aber auf insgesamt niedrigem Niveau: Während mit Scheinmedikament 3 bis 5 von 100 Rauchern nach sechs bis zwölf Monaten nicht mehr rauchen, sind es mit Nikotin- Präparaten 5 bis 8 Personen. In solchen Studien, in denen die Beratung besonders intensiv war oder es sogar psychotherapeutische Unterstützung gab, lagen die Werte höher: 15 von 100 Rauchern hörten auch ohne Nikotinersatz auf, mit Nikotinersatz schafften es 23 von 100, also 8 mehr.6 Der Erfolg ist aber nicht immer von Dauer: Etwa jeder dritte Exraucher greift später wieder zur Zigarette. Dennoch kann ein erneuter Versuch schließlich doch zu anhaltendem Erfolg führen. Nikotin-Präparate haben auch Nachteile: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit u.a. kommen vor. Kaugummis verursachen manchmal Schmerzen im Kaumuskel, Sodbrennen, Schluckauf u.a., Lutschtabletten können Geschwüre der Mundschleimhaut auslösen. Nikotin- Pflaster reizt bisweilen die Haut, es gibt allergische Reaktionen an den Klebestellen. Auch von Nikotinersatz ist übrigens in seltenen Fällen Abhängigkeit möglich.1

Bupropion (Zyban®) – allenfalls Reserve

Das verschreibungspflichtige Bupropion hemmt im Gehirn die Aufnahme bestimmter Botenstoffe an Nervenzellen. Es wird als Zyban® zur Raucherentwöhnung angeboten sowie als Elontril® gegen Depressionen. Mit welchen Mechanismen Bupropion das Rauchverlangen mindern soll, ist nicht geklärt. Nach gemeinsamer Auswertung von insgesamt 36 Studien mit Bupropion liegen die Chancen, nach einem Jahr nicht mehr zu rauchen, etwa in der Größenordnung von Nikotin-Präparaten. Direkte Vergleiche von Bupropion mit Nikotin-Präparaten sind jedoch spärlich und lassen nicht auf einen Vorteil von Bupropion schließen.3 Auch wer dieses Mittel einnimmt, üblicherweise sieben bis neun Wochen lang, muss mit einem späten Rückfall rechnen. Wegen der unerwünschten Wirkungen von Bupropion ziehen wir Nikotin-Präparate vor.

Unerwünschte Wirkungen sind sehr häufig und zum Teil bedrohlich. 30 bis 40 von 100 Personen klagen über Schlaflosigkeit und 10 von 100 über trockenen Mund und Übelkeit. Etwa 10 von 100, in einzelnen Studien bis zu 30 von 100, brechen die Einnahme wegen unerwünschter Wirkungen ab. Krampfanfälle können vorkommen. Es wird davor gewarnt, dass sich Selbsttötungsgedanken Bahn brechen können, auch bei Menschen, die zuvor keine depressiven Verstimmungen hatten.3

Vareniclin (Champix®) – wir raten ab

Das seit fünf Jahren erhältliche verschreibungspflichtige Vareniclin soll Rauchverlangen, Entzugssymptome und Suchtverhalten verringern (GPSP 2/2007 S. 3). Man nimmt es üblicherweise 12 bis 24 Wochen lang ein. Nach gemeinsamer Auswertung von insgesamt 14 Studien erhöht auch Vareniclin den Erfolg, das Rauchen zu beenden. Allerdings schneidet es nicht besser ab als die rezeptfreien Nikotin-Pflaster.3 Auch für Vareniclin gilt: Wer vom Tabak losgekommen ist, muss später noch mit einem Rückfall rechnen.

Vorbehalte gegen Vareniclin (Champix®) bestehen vor allem wegen seiner Risiken. Von 100 Anwendern wird 13 bis 44 übel. Bis zu 8 von 100 brechen deshalb die Therapie ab. Bereits 2009 warnte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA vor Selbsttötungsgedanken und Selbsttötungsversuchen unter der Therapie mit dem Mittel. Die Behörde errechnet ein etwa achtfach erhöhtes Risiko für Depressionen beziehungsweise Selbsttötungsgedanken/ Selbstverletzung. Betroffen waren auch Raucherinnen und Raucher, die zuvor keine Depression hatten. Und auch das alarmiert: Die meisten Berichte, die der FDA zu „Gewalt und Arzneitherapie“ zugingen, betreffen Vareniclin. Bis 2009 waren es 408 Meldungen. Der europäischen Arzneimittelbehörde EMA liegen bis Anfang 2011 bereits 478 Mitteilungen zu ungewöhnlicher Aggressivität und 1.073 zu Selbsttötungsgedanken bei Vareniclin-Anwendern vor.3

Auf Herz und Kreislauf kann sich Vareniclin ebenfalls schädlich auswirken. Es erhöht den Blutdruck und die Herzfrequenz. Zu befürchten ist, dass sich dies gerade für Menschen, deren Herz- Kreislauf-System durch Rauchen vorgeschädigt ist, negativ auswirkt.7

Viele Raucherinnen und Raucher schaffen den Rauchstopp ohne Medikamente. Aber geben Sie nicht auf, wenn es nicht sofort klappt. Den meisten gelingt der Absprung nicht im ersten Anlauf. Suchen Sie nach den Gründen, warum Sie nicht vom Tabak losgekommen sind und nutzen Sie Ihre Erfahrungen für den nächsten Versuch. Es lohnt sich. Wer aufhört zu rauchen, ist schon bald gesünder, fühlt sich besser und erhöht seine Lebenserwartung. Als Mittel der Wahl unter den unterstützenden Medikamenten gilt Nikotinersatz. Der zusätzliche Nutzen ist allerdings nicht sehr groß. Auch Bupropion (Zyban®) und Vareniclin (Champix®) erhöhen die Erfolgschancen für einen Rauchstopp etwas. Wegen ihrer unerwünschten Wirkungen erachten wir Bupropion als Mittel der Reserve und raten von Vareniclin ab.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 06/2012 / S.04