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©carballo/fotolia

Nächtliche Muskelkrämpfe

Verkrampfungen in Fuß, Wade oder Oberschenkel sind schmerzhaft. Leider sind die Möglichkeiten zur Vorbeugung und Behandlung unbefriedigend: Für Medikamente fehlt meist der Nachweis eines überzeugenden Nutzens, und manche Präparate bergen sogar Risiken. Verhaltenstipps können helfen, auch wenn die Ursachen solcher Krämpfe oft unbekannt sind. Auf einmal ist er da, der ziehende Schmerz in Fuß, Wade oder Oberschenkel. Muskelkrämpfe treten meistens genauso plötzlich auf, wie sie wieder verschwinden. Besonders oft verkrampft die Muskulatur in der Nacht oder wenn man ruht. Vor allem er­wischt es ältere Menschen.

Muskelkrämpfe können viele Ursachen haben. Sie treten zum Beispiel auf, wenn die Muskulatur in ungewohnter Weise oder sehr stark belastet wurde, oder wenn die Muskeln zu schlecht mit Blut versorgt sind. Aber auch starker Alkoholkonsum und ein Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen können sie auslösen. Zudem gibt es Krankheiten, die Muskelkrämpfe manchmal begünstigen: Dazu zählen ­bestimmte Stoffwechselerkrankungen, Krankheiten des Nervensystems oder der Gelenke und Venenleiden. Auch Menschen mit Leberschäden oder Nierenkranke, die eine Dialyse benötigen, können betroffen sein. Und es kommt vor, dass sogar Medikamente eine Rolle als Auslöser der Krämpfe spielen (siehe Tabelle). Häufig ist aber gar keine bestimmte Ursache für die Krämpfe erkennbar.

Magnesium: Nutzen unklar

Dass Magnesium bei Muskelkrämpfen helfen soll, hat fast jeder schon einmal gehört. Magnesiumhaltige Brausetabletten und Pulver werden stark beworben und von vielen Menschen gerne gekauft. Ein Nutzen solcher Nahrungsergänzungsmittel ist allerdings unwahrscheinlich, wie eine aktuelle Auswertung mehrerer Studien zeigt: Sie konnten die Beschwerden bei Versuchspersonen kaum besser lindern als ein wirkstoffloses Scheinmedikament.1

Chinin: unerwünschte Wirkungen

Ebenso wie Magnesium wird Chinin seit vielen Jahren als Mittel gegen nächtliche Muskelkrämpfe verkauft und beworben (z.B. Limptar N®, siehe Glosse S. 18). Chinin kann die Krampfhäufigkeit zwar senken und die Stärke der Muskelkrämpfe leicht reduzieren, aber diese Resultate stehen auf wackeligen Füßen: Viele Daten sind nicht veröffentlicht und stammen aus Studien pharmazeutischer Unternehmen.2

Bedenklich ist das Risiko schwerer unerwünschter Wirkungen der Chininpräparate: Sie können nicht bloß zu Magen-Darm-Beschwerden führen, sondern auch das Blutbild verändern, die Blutungsneigung erhöhen, lebensgefährliche Herzrhythmus­störungen sowie schwere allergische Reaktionen oder Nieren­schäden auslösen. Und bei gleichzeitiger Einnahme anderer Medikamente drohen gefährliche Wechselwirkungen.

In Australien, Neuseeland und den USA sind Chininpräparate zur Behandlung von Muskelkrämpfen nicht zugelassen. In Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern gibt es hingegen eine Zulassung von Chininsulfat für diese Verwendung. Wie in Großbritannien und Frankreich wird der Wirkstoff aber auch in Deutschland wegen seiner Risiken demnächst verschreibungspflichtig.

Gefährliche Tradition

Die Klosterfrau Healthcare Group, zu der der Anbieter Casella-med gehört, bewirbt Limptar N® im Internet als Naturstoff mit Tradition.3 Auf drohende Risiken wird nicht näher eingegangen. Wir finden nur den Pflichttext: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. GPSP hat aufgrund der Risiken wiederholt vor Chinin bei Wadenkrämpfen gewarnt (zuletzt in GPSP 3/2011, S. 11).

Ärzte verschreiben auch Wirkstoffe, die eigentlich zur Behandlung anderer Beschwerden zugelassen sind: Dazu gehören der Vitamin-B-Komplex, die muskelentspannenden Stoffe Gabapentin, Carbamazepin und Baclofen, mit denen höher dosiert etwa Menschen mit Epilepsie oder MS behandelt werden. Bei keinem dieser Stoffe ist jedoch die Wirksamkeit gegen Muskelkrämpfe verlässlich nachgewiesen. Und die Risiken bei der nicht zugelassenen Anwendung (Off-label) gegen nächtliche Beinkrämpfe sind nicht abzuschätzen.

Dehnen gegen den Schmerz

Beinkrämpfen kann man durch Bewegungsübungen vorbeugen, indem man die Beinmuskulatur vor dem Schlafengehen dehnt (GPSP 4/2010, S. 4). In einer Studie konnte solche Gymnastik die Zahl der Krämpfe pro Nacht um fast ein Drittel reduzieren.4 Die Versuchsteilnehmer hatten in einer dreiminütigen Übung ihre Muskulatur in Wade und hinterem Oberschenkel gedehnt. Insgesamt ist die Wirksamkeit einer Behandlung von Muskelkrämpfen ohne Medikamente allerdings noch unzureichend untersucht.5

Kein Alkohol und weitere Tipps

Noch gibt es kaum Therapien, die bei Muskelkrämpfen eindeutig wirksam sind. Im Alltag empfiehlt es sich daher, all das zu vermeiden, was die Erregbarkeit der Muskulatur erhöht: Beim Alkohol kürzer treten oder ganz darauf verzichten. Viel Flüssigkeit ist wichtig. Außerdem sollte die Muskulatur nicht zu stark in ungewohnter Weise belastet werden. Auch bei der Schlafposition lässt sich vorbeugen: Bauchschläfer sollten es vermeiden, die Füße gestreckt auf dem Fußrücken abzulegen (Spitzfußstellung), denn durch die Überstreckung kann die Muskulatur verkrampfen. Tipp: Wer auf dem Bauch schläft, sollte ans Matratzenende rutschen und die Füße hängenlassen, um Muskelkrämpfe zu vermeiden. Wer Medikamente einnimmt, die Muskelkrämpfe begünstigen können, kann mit seinem Arzt oder seiner Ärztin über Alternativen sprechen. Wichtig ist auch, dass Grunderkrankungen, die sich möglicherweise hinter den Muskelkrämpfen verbergen, richtig erkannt und behandelt werden.

Obwohl nicht bewiesen ist, dass Magnesium bei Wadenkrämpfen hilft, wird es in der Regel gut vertragen und kann als Therapie ausprobiert werden. Dazu muss man nicht unbedingt ein Nahrungsergänzungsmittel kaufen (Tages­kosten ca. 0,50 € bei 600 mg): Die Menge, die zur Vorbeugung empfohlen wird, lässt sich ganz einfach in Form von Vollkornprodukten, Haferflocken, Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen aufnehmen. Eine Banane zum Beispiel liefert gut 100-150 mg Magnesium und 100 g Cashew-Nüsse enthalten etwa 250 mg. Von Chininsulfat-Präparaten ist abzuraten: Das Risiko schwerer unerwünschter Wirkungen steht hierbei nicht im Verhältnis zum Nutzen.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2014 / S.10