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Wenn’s beim Pinkeln brennt

Warum Antibiotika nicht immer erste Wahl sind

Viele Frauen erkranken häufiger an einer Blasenentzündung durch Bakterien, manche sogar mehrmals im Jahr. Besonders jüngere Frauen leiden – als Folge gelebter Sexualität – unter solchen Infektionen. Jenseits der Sechzig nehmen Harnwegsinfekte erneut zu. Bei jungen Männern sind sie selten. Wie lassen sich solche Infektionen vermeiden und wie behandeln? Das fragten wir die Allgemeinmedizinerin Eva Hummers-Pradier.

GPSP: Wenn’s beim Pinkeln brennt und man ständig zur Toilette muss, sind Antibiotika für ein oder drei Tage doch eine tolle Sache.

Hummers-Pradier: Stimmt. Sie wirken rasch und ziemlich zuverlässig. Aber die Frage ist, ob sie wirklich immer und sofort notwendig sind.

Warum ist das eine Frage?

Immer mehr Bakterien werden gegen die üblichen Antibiotika resistent. Das heißt, sie wirken nicht mehr, weil sie zu oft ver­ordnet werden. Wir müssen sehen, dass wir die Wirksamkeit nicht weiter schwächen und die Mittel vor allem für schlimme Krankheiten vorhalten.

Darum haben Sie verglichen, wie gut die Beschwerden abklingen, wenn Frauen ein Antibiotikum einnehmen oder nur ein antientzündliches Schmerzmittel?

Genau. Man darf zweierlei nicht vergessen: Antibiotika haben ja auch Nebenwirkungen, und gegen die Bakterien, die eine Blasenentzündung verursachen, kommt die körpereigene Abwehr bei ansonsten gesunden Frauen offenbar gut an. Damit das wirklich sehr unangenehme Brennen nicht so schlimm ist, bekamen in unserer Studie1 Frauen, die keine Antibiotika einnahmen, ein entzündungshemmendes Schmerzmittel. Natürlich war den Ärzten und ihren Patientinnen nicht bekannt, wer welches Medikament erhielt.

Also, die Studie war doppel-blind. Aber warum sprechen Sie nur von Frauen?

Bei Männern ist die Situation anders. Bei ihnen sind Antibiotika generell das Mittel der Wahl. Zuvor sollte aber per Antibiogramm getestet werden, welche Antibiotika wirksam sind und gegen welche Antibiotika die auslösenden Bakterien bereits resistent sind.

Zurück zu Ihrer kleinen, aber interessanten Frauenstudie. Was kam heraus?

Eine Pattsituation, mit etwas besseren Ergebnissen für die reine Schmerztherapie. Nach drei Tagen waren die Infekte bei jeder zweiten Frau überstanden. Einige dieser Frauen ohne antibiotische Therapie, und zwar jede Dritte, benötigten dann aber doch ein Antibiotikum. In der anderen Gruppe benötigte allerdings jede fünfte Frau ein weiteres Antibiotikum.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Bakterien hochwandern und in den Nieren eine Entzündung ­entsteht?

Das kommt selten vor und ist auch nicht immer gleich gefährlich. Man denkt bei uns meist, dass nur Antibiotika gegen das Fortschreiten des Infekts helfen, aber in der Regel verursachen ja körpereigene Bakterien solche Harnwegsinfekte. Und mit denen kommt unser Immunsystem oft ganz gut selbst zurecht. Es gibt natürlich Ausnahmen.

Woran denken Sie?

Unsere Befunde gelten nur für unkomplizierte Harnwegsinfekte, also zum Beispiel nicht für Kinder, Schwangere oder für Frauen mit anatomischen Besonderheiten oder nach Operationen im Blasen-Nierenbereich. Da können die Abflussverhältnisse ungünstig sein. Auch für Menschen mit fieberhaften Harnwegs- und Niereninfektionen oder mit Abwehrschwäche gelten unsere Befunde nicht. Ebenso wenig für Diabetikerinnen, weil wir sie in die Studie nicht eingeschlossen hatten.

Kann man denn etwas tun, damit Bakterien nicht in die Blase hochwandern?

Frauen erkranken unterschiedlich leicht an Harnwegsinfekten. Manche erhöhen offenbar wirklich ihr Risiko, wenn sie sich ungewohnten Kältereizen aussetzen. Jugendliche wollen davon oft nichts wissen. Einer skandinavischen Studie2 zufolge ist da aber etwas dran.

Gibt es weitere Risiken?

Gebärmutter- und Blasensenkung im Alter. Und alles, was die Flora im Scheidenbereich verändert, ist ein Problem. Also zum Beispiel Intimsprays, auch Seife und lokale Verhütungsmittel wie das Scheidendiaphragma und spermizidhaltige Präparate. Häufiger als viele vermuten ist Sex ein Risikofaktor.

Da gibt es also viel zu ­beachten.

Es scheint große individuelle Unterschiede zu geben und darum ist es gut, wenn Frauen herausfinden, was für sie ein Risiko ist. Wenn Geschlechtsverkehr ein Problem ist, kann es hilfreich sein, danach die Blase zu entleeren.

Ist denn sicher, dass Frauen das Gesäß von vorne nach hinten abputzen sollen, um Bakterien aus dem Darm nicht in den Scheiden-Blasen-Bereich zu verschieben?

Das klingt zwar logisch und daher empfehlenswert, aber Studien dazu gibt es nicht.

Warum werden diese Bakterien denn überhaupt zum Problem?

Bakterien kommen öfter im Urin vor und sind ungefährlich. Ausschlaggebend ist, ob sie eine Entzündung der Blasenschleimhaut hervorrufen.  Damit verbundene Beschwerden führen Frauen in die Arztpraxis.

Und dann?

In Deutschland ist es üblich, dass der Urin mit einem Teststreifen auf weiße Blutkörperchen und Nitrit3 untersucht wird. Ein positives Ergebnis bestätigt die Ursache der Beschwerden.

Für Kinder oder Seniorinnen kann es schwierig sein, für den Test den so genannten Mittelstrahlurin zu gewinnen. Wichtig?

Hummers-Pradier: Wichtig ist vor allem, dass der Urin frisch untersucht wird und nicht stundenlang herum gestanden hat.4 Frauen sollten möglichst die Schamlippen etwas spreizen und Männer vorher das Genital waschen.

Manchmal guckt der Arzt oder die Ärztin durchs Mikroskop.

Was man da sieht, kann zusätzliche Hinweise geben. Für eine genaue Diagnostik muss man eine Bakterienkultur anlegen.5 Das bedeutet, den Urin einschicken und drei Tage warten. Mir erscheint es sinnvoller, bei unkomplizierten Harnwegsinfekten zunächst die Schmerzen zu lindern.

Mehr nicht?

Es hat sich ja gezeigt, dass bei vielen Frauen nach drei Tagen das Problem wie von selbst behoben ist. Sicherlich ist es oft günstig, viel zu trinken und so eine große Menge Bakterien aus den Harnwegen zu spülen. Aber eine hohe Flüssigkeitszufuhr ist zum Beispiel bei Herzinsuffizienz problematisch.6

Was halten Sie von Blasentee?

Zum Durchspülen reicht Wasser. Die Studien zu Blasentees sind schlecht. Und gelegentlich kommen Frauen in die Praxis, die davon so viel getrunken haben, dass es ihnen am Mineralstoff Kalium mangelt. Das ist ein Problem bei entwässernden Tees.

Können Cranberry oder die Bärentraube vor wiederkehrenden Harnwegsinfekten schützen?

Solche traditio­nellen Heilmittel sind leider oft schlecht untersucht.7

Weil sie sich auch so gut verkaufen?

Vielleicht. Jedenfalls geht auch aus einer systematischen Bewertung von Studien8 hervor, dass der Nutzen dieser pflanzlichen Mittel schwer zu beurteilen ist. Die zugrundeliegenden Studien sind miserabel. Da gibt es noch viel zu überprüfen.

Frau Hummers-Pradier, herzlichen Dank für das Gespräch.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2011 / S.12