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@ Jörg Schaaber

Allergien

Dem Kalzium-Märchen auf der Spur

Was nützt der Mikronährstoff bei Allergien? Ob in Apotheke oder Internet: An vielen Stellen hört man den Ratschlag, dass sich Heuschnupfen oder Hautausschlag mit Kalzium in den Griff bekommen lassen. Stimmt das?

Endlich wieder wärmere Temperaturen und mehr Sonne – wäre da nur nicht der Heuschnupfen, der bei Betroffenen die Augen tränen und die Nase laufen lässt.1

Noch ein weiteres Problem kann sich mit Beginn der wärmeren Jahreszeit zeigen: Bei der „polymorphen Lichtdermatose“ reagiert die Haut auf die UV-Strahlung der Sonne mit juckenden Ausschlägen, oft im Bereich des Dekolletés. Das ist zwar keine Allergie, wird im Volksmund aber oft als „Sonnenallergie“ bezeichnet.2

Wer sich im Internet nach Hilfe umsieht, stößt schnell auf einen vermeintlichen Geheimtipp: Vor­beugend Kalzium einnehmen! Auch in manchen Apotheken bekommt man diesen Rat. Je nachdem, wen man fragt, reicht die empfohlene Zeitspanne dabei von einigen Tagen bis zu einigen Wochen.

Theoretisch ja…

Befürworter haben ein scheinbar einleuchtendes Argument an der Hand: In Laborversuchen kann Kalzium eine bestimmte Art von Zellen des Immunsystems, die Mastzellen, beeinflussen. Mastzellen sind ein „Wächter“ der Abwehr. Erhalten sie das Signal, dass sich ein unverträglicher Fremdstoff im Körper befindet, schütten sie den Botenstoff Histamin aus. Damit fordern sie weitere Verstärkung von anderen Teilen des Immunsystems an und lösen zugleich typische allergische Beschwerden aus: So fängt zum Beispiel die Nase an zu laufen oder die Augen tränen. Bei Heuschnupfen beruht das jedoch auf einem Fehlalarm, denn Birken- oder Gräserpollen sind für den Körper nicht gefährlich.

Also: Kalzium kann im Reagenzglas zwar bewirken, dass Mastzellen weniger Histamin ausschütten. Und so gesehen scheint es plausibel, dass Kalzium bei Allergien helfen könnte. Aber das kennen wir schon aus anderen Zusammenhängen: Ein hypothetisch plausibler Wirkmechanismus ist noch lange kein Beweis für die Wirksamkeit eines Mittels. Dazu braucht es ordentliche klinische Studien.

…aber praktisch?

Und genau daran mangelt es. Zwar konnten wir bei unserer Literaturrecherche einige Untersuchungen finden, die sich im weitesten Sinne mit „Kalzium bei Allergien“, also zum Beispiel bei Heuschnupfen oder allergischem Asthma beschäftigt haben. Bei genauerem Hinsehen waren sie allerdings nicht besonders aussagekräftig. Gewünscht hätten wir uns etwa Studien, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip auf zwei Gruppen aufgeteilt werden und über einen angemessenen Zeitraum entweder Kalzium oder ein Scheinpräparat einnehmen (ohne selbst zu wissen, in welcher Gruppe sie sind). Und dann hätten die Forschungsteams (ohne Kenntnis der jeweiligen Gruppe) beurteilen müssen, wie sich etwa die Beschwerden in der nächsten Heuschnupfensaison entwickeln. Oder ob die Betroffenen weniger Hautausschlag durch die Frühjahrssonne bekommen.

Finden konnten wir jedoch nur Untersuchungen, bei denen die Patienten in der Regel lediglich ein einziges Mal Kalzium einnahmen und sich aus den Messungen keine Schlussfolgerungen für den Leidensdruck im Alltag ziehen lassen. Bei diesen Studien waren nur Patienten mit Heuschnupfen eingeschlossen, keine mit polymorpher Lichtdermatose, für die Kalzium ebenfalls propagiert wird.

Keine Belege

Dass Kalzium bei Allergien hilft, ist also nicht überzeugend nachgewiesen. Da sind die herkömmlichen Ratschläge vermutlich sinnvoller: Bei Heuschnupfen wenn möglich Pollen meiden, bei Bedarf mit Heuschnupfenmitteln die Symptome lindern und bei starken Beschwerden mit Arzt oder Ärztin über eine Hyposensibilisierung beraten.1 Bei polymorpher Lichtdermatose scheint es aussichtsreich, die Haut vor zu viel Sonnenlicht zu schützen (bedecken und/oder Sonnenschutzmittel verwenden) und die Haut im Frühjahr langsam an die Sonne zu gewöhnen. Entwickeln sich trotzdem juckende Ausschläge, können kurzzeitig Cremes oder Gele mit niedrigdosiertem Cortison Abhilfe schaffen.2

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2018 / S.23