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„Sonstige Stoffe“ in Nahrungsergänzungsmitteln

Bestenfalls überflüssig

Viele Menschen meinen, es lohne sich, die Nahrung durch bestimmte Konzentrate oder Mischprodukte zu ergänzen. Bei solchen Nahrungsergänzungsmitteln handelt es sich nicht nur um Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, sondern oft auch um so genannte sonstige Stoffe. Mit solchen häufig zu Phantasiepreisen angebotenen Produkten werden immer wieder Menschen übers Ohr gehauen.

Die Palette der Nahrungsergänzungsmittel, die man in der Apotheke, im Reformhaus, beim Discounter, per Versand oder im Internet kaufen kann, ist unüberschaubar geworden. Dabei ist der Kauf solcher Produkte bei normaler Ernährung in der Regel völlig überflüssig. Darauf weist das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) seit vielen Jahren hin.a

Zum einen sind zusätzliche Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente nur für ganz bestimmte Personengruppen notwendig, etwa für Schwangere mit einem erhöhten Folsäurebedarf oder ältere Menschen, die zu wenig frisches Obst und Gemüse essen. Zum anderen gibt es zahlreiche Nahrungsergänzungen, die gänzlich andere Bestandteile enthalten: die sogenannten sonstigen Stoffe. Dazu gehören Kieselerde und Muschel­extrakte, Algen, exotische Pflanzen wie Noni und Spezielles vom Tier. Im Angebot sind unter anderem Colostrum Kapseln – gewonnen aus der einschießenden Milch nach dem Kalben der Kuh –, Haifischknorpel-Extrakte und Chitosan-Präparate aus dem Chitinpanzer von Krebsen. Daneben gibt es Produkte mit arzneiähnlichen Namen, wie Coenzym Q 10 (siehe Tabelle Seite 10).

Fehlende Kontrolle

Während es für Vitamine und Mineralstoffe immerhin einige EU-weit gültige Regelungen gibt,b sind die „sonstigen Stoffe“ ein großes Problem. Denn weder deutsche noch europäische Gesetze regeln, was genau zu dieser Gruppe gehört und wie der Verbraucher vor gefährlichen Substanzen geschützt werden kann.c Gegenwärtig liegt die Verantwortung beim Anbieter, denn Nahrungsergänzungsmittel sind laut Gesetz Lebensmittel (siehe Kasten). Sie werden nur stichprobenartig geprüft oder falls ein Verdacht aufkommt.

Schon mehrfach musste das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) die Öffentlichkeit warnen, etwa vor Gesundheitsschäden durch Kava-Kava (siehe Kasten), das die Leber angreifen kann,d Ephedra-Kraut (Meerträubel), das wegen seiner anregenden Wirkung zu erhöhtem Blutdruck, Herzrhythmusstörungen und Krämpfen führen kann,e oder AFA-Algen, die durch Verunreinigungen die Leber schädigen können.f

Trotz solcher Gefahren dürfen die „sonstigen Stoffe“ bis Ende 2009 noch in Nahrungsergänzungsmittel gerührt werden. Die Preise sind zum Teil reine Phantasie. So wird im Internet das Mittel Cardio® forte für 1489 Euro angeboten. Dieser Name und die Symbolik suggerieren eine herzstärkende Wirkung und könnte ebensogut die Bezeichnung eines Arzneimittels sein. Mit der Angabe einer PZ-Nummer (PZN) werden viele Menschen ausgetrickst, kritisierte die Verbraucher-Zentrale Thüringeng (siehe Kasten Seite 10).

Eine angemessene Bewertung von Nutzen und Schaden müssen Nahrungsergänzungsmittel nicht durchlaufen. So gesehen ist der Verbraucher eine Art Versuchskaninchen. Das könnte sich ändern, wenn die EU-Verantwortlichen sich zu einer Positivliste durchringen, in der nur die sicheren „sonstigen Stoffe“ enthalten sind und die alles Andere von der Verwendung ausschließt. Eine solche Positivliste existiert bereits für Vitamine und Mineralstoffe.

Risiken für Verbraucher abzuwenden, muss für den Gesetzgeber höchste Priorität haben. Wie soll denn der Laie erkennen, dass ein Präparat durch seine Regenwurmbestandteile (Lumbricus) mit Blei und Cadmium verseucht ist?h Und davon, dass die Lebensmittelüberwachung solche Gefahren entdeckt, ist nicht auszugehen.

Wichtig ist aber auch, den Sinn der angebotenen Nahrungsergänzungen zu prüfen. Die Nutzenbelege sind oft an den Haaren herbeigezogen oder dubios. Das gilt zum Beispiel für die Modeerscheinung „Zimtkapseln“ und ihre blutzuckersenkenden Effekte.

Allerdings sind Zimtbestandteile und andere sonstige Stoffe keineswegs als Plazebos zu bewerten. Vor allem bei hohen Dosierungen muss mit Unverträglichkeiten und Risiken gerechnet werden. Das trifft beispielsweise auch für das als „Zellschutz“ propagierte Betacarotin zu, über das wir in der letzten Ausgabe berichteten (GPSP 1/2006, Seite 4). Gerade bei Rauchern kann es, statt dem Lungengewebe Schutz zu bieten, die Entwicklung von Lungenkrebs fördern. Besonders bedenklich ist, dass die meisten Menschen davon ausgehen, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht schaden können und in gutem Glauben nach der Devise verfahren: Viel hilft viel. Dabei weiß die Medizin seit langem: Die Dosis macht das Gift. Auf natürliche Schwankungen bei den Inhaltsstoffen von Nahrungsmitteln ist der Organismus vorbereitet, auf spezielle Hoch-Konzentrate nicht.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 02/2006 / S.09