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Heilpraktiker Verband empfiehlt Ohrkerzen

Viel heiße Luft: Helfen Ohrkerzen wirklich?

Es klingt nicht nur dubios, es ist auch dubios. Wer sich Ohrkerzen in den Gehörgang steckt und sie am oberen Ende anzündet, soll unter anderem bei Ohrklingeln (Tinnitus), Ohrenschmerzen, Stirn- und Nebenhöhlenproblemen Erleichterung verspüren. Ohrkerzen sollen sich auch zur Ohrmassage eignen und für Entspannung und Beruhigung sorgen. Die 20 bis 30 cm langen, etwa bleistiftdicken Stifte aus Bienenwachs oder Paraffin und Gaze, sind innen hohl. Sie enthalten meist ätherische Öle, pulverisierte Kräuter oder andere Zutaten. Ohrkerzen werden in Seitenlage in den äußeren Gehörgang geschoben und dann am oberen Ende angezündet.

©Thomas Kunz

Der Verband Freier Heilpraktiker e.V.1 betont, dass mit der Ohrkerzenbehandlung „Ohrakupunkturpunkte voll erfasst“ würden, die Reizwirkungen das Trommelfell massiere und „das gesamte Hörsystem und auch das Gleichgewichtsorgan beeinflusst“ werde. Selbst der Rachenraum werde „über die Ohrtrompete, vom Mittelohr aus, beeinflusst.“ Dadurch werde „auch eine Wirkung auf die Rachenmandeln und die Rachenlymphe erzielt. Somit werden alle mit dem Ohr verbundenen Organe, Nerven und die Lymphe miterfasst.“

Das klingt in manchen Ohren vielversprechend, ist jedoch fern jeglicher Realität. So ist der äußere Gehörgang durch ein normalerweise intaktes Trommelfell abgeschlossen. Wie die Strukturen hinter dem Innenohr – etwa Nebenhöhlen oder Ohrtrompete – beeinflusst werden sollen, ist daher wissenschaftlich nicht nachvollziehbar.

Statt der versprochenen Massage und Reinigung, sind eher Unannehmlichkeiten zu erwarten: Wird die Ohrkerze in den Gehörgang gesteckt, drückt das Röhrchenende Ohrenschmalz tiefer in den Gehörgang. Bei falschem Gebrauch ist sogar zu befürchten, dass Gehörgang oder Trommelfell geschädigt werden. Wachspartikel, die beim Abbrennen schmelzen und ins Röhrchen fallen, werden meist durch einen Sicherungsfilter aufgefangen. Fehlt aber ein solcher Filter müssen Ablagerungen von jemandem, der sich auskennt, mit einem Ohrlöffelchen entfernt werden. Dies geht keinesfalls in Eigenregie. Gerade die beliebten, jedoch problematischen Wattestäbchen sind hier völlig ungeeignet, da sie die Rückstände tiefer in den Gehörgang schieben.

Dass durch Ohrkerzen die „gelösten und freigesetzten Ablagerungen des Gehörgangs, sowie der Stirn- und Nebenhöhlen … durch den entstehenden Unterdruck zum größten Teil in den äußeren Gehörgang und zum Teil in den unteren Teil der Ohrkerze befördert“1 werden sollen, ist eine geradezu abenteuerliche Behauptung. Da wäre schon viel Magie erforderlich, um „Ablagerungen“ aus dem Inneren des Kopfes durch das Trommelfell herauszusaugen. Zudem lässt sich noch nicht einmal ein Unterdruck nachweisen.2 Selbst das versprochene Wärmegefühl bleibt aus, da erwärmte Luft nach oben steigt und nicht im Kerzenröhrchen nach unten in den Gehörgang sinkt.

Ein HNO-Arzt kommentiert einen Selbstversuch mit deutlichen Worten: „Eine Trommelfellmassage fand nicht statt (ich kenne diese noch von den elektrisch angetriebenen Trommelfellmassagegeräten früherer Jahre, die aber aus der Mode kamen, als es für sie keine Abrechnungsziffer mehr gab).“3 Weil die Kassen nicht mehr zahlen, wurde diese obskure elektrische Methode nicht mehr angeboten. Für die nicht minder obskuren Ohrkerzen zahlen gutgläubige Verbraucher zwischen einem und vier Euro pro Stück. Wem die magische Prozedur gefällt, genießt eventuell das Drumherum bei der Anwendung und den speziellen Kerzenduft. Eine gute Stimmung lässt sich aber auch mit einer Kerze auf dem Tisch erreichen.

 

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2007 / S.11