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©Jörg Schaaber

Allopurinol

Bewährtes Mittel bei Gicht

Warum stellen wir gerade jetzt Allopurinol als gute alte Pille vor? Ganz einfach, derzeit fehlt in kaum einem Fachblatt für Ärzte die großformatige Anzeige zu einem speziellen Nachfolge­präparat. Das wiederum wundert nicht: Das Mittel kostet sechsmal so viel wie Allopurinol.

Die Gicht ist altbekannt. Bereits Falstaff – Shakespeares beleibter Held – leidet an schmerzenden Gelenken. Und Wilhelm Busch hat einen akuten Gichtanfall aufs Papier gebannt: Im „Neidischen Handwerksbursch“ gibt sich ein reicher, wohlgenährter Mann einem üppigen Mahl hin, und wie zur Strafe folgt bald darauf ein Gichtanfall am Fuß.

Gicht entsteht, wenn sich in Gelenken Kristalle aus Salzen der Harnsäure (Urate) bilden und eine Entzündung auslösen. Dies kann sich als äußerst schmerzhafter Gichtanfall äußern, häufig am großen Zeh. Halten die Beschwerden länger an, kann eine chronische Entzündung entstehen. Jede Bewegung schmerzt, und die Gelenke können sogar steif werden. Neben den Gelenken können andere Organe erkranken. So kann Gicht Hautknötchen (Gichttophi) und Nierensteine1 verursachen.

Ursache des Übels

Harnsäure entsteht beim Abbau von Zellen. Bei Gicht ist meist der Harnsäure-Blutspiegel erhöht. Die Ursache dafür steckt auch in dem, was wir essen. Lebensmittel mit vielen tierischen Zellen bedeuten viel „Abbauarbeit“ und können den Harnsäurespiegel steigern. Muskelfleisch (Steaks, Gulasch usw.) enthält dabei im Vergleich zu Innereien deutlich weniger Zellen. Ein wenig können aber auch Pflanzenzellen zur Erhöhung der Harnsäure beitragen, vor allem bestimmte Kohlsorten. Alle anderen Gemüse- und Getreidearten spielen keine Rolle. Gichtkrank sind daher oft Menschen, die gerne deftig essen – insofern gilt Gicht auch als „Wohlstandskrankheit“.

Auch wenn die meiste Harnsäure bei Umbauprozessen im eigenen Körper entsteht, da Zellen ständig abgebaut und durch neue ersetzt werden – die Ernährung kann dann eben das entscheidende Quäntchen draufsetzen. Zu erhöhten Harnsäurespiegeln können auch genetisch bedingte Stoffwechselstörungen und bestimmte Erkrankungen führen.2

Wann behandeln?

Viele Menschen haben trotz eines erhöhten Harnsäurespiegels niemals einen Gichtanfall, und nicht jeder Gichtanfall geht zwangsläufig mit einem Zuviel an Harnsäure einher. Auf die Laborwerte alleine kann man sich also nicht verlassen.

Oft ist der Gichtanfall so typisch,
dass Arzt oder Ärztin die Diagnose allein aufgrund der Symp­tome und des Verlaufs stellen kön­nen. Erst wenn die akute Phase abgeklungen ist, kann entschieden werden, ob eine harnsäuresenkende Therapie sinnvoll ist.

Bei einem Harnsäurespiegel unter 6 bis 7 mg/dl ist ein Gichtanfall eher unwahrscheinlich.1,3 Selbst leicht darüber liegende Werte ohne Gichtsymptome müssen nicht unbedingt behandelt werden. Fragen Sie daher nach, ob ein Harnsäuresenker wirklich notwendig ist.

Was ist Standard?

Wenn der Harnsäurespiegel gesenkt werden soll, beispielsweise weil er ungünstig ist und Gichtbeschwerden da sind (etwa Schmerzen), steht an erster Stelle eine Diät: Lebensmittel, die die Harnsäure erhöhen können, sollten möglichst selten – und dann auch nur in kleinen Mengen – auf den Teller kommen.

Bessert sich die Lage nicht, sind Medikamente erforderlich. Die klassische Arznei ist Allopurinol. Sie hemmt das Enzym Xanthin­oxidase, das die Bildung der Harn­säure verursacht. Allopurinol wurde 1963 von der US-Pharma­kologin und späteren Nobelpreisträgerin Gertrude Belle Elion entwickelt und ist seit gut fünfzig Jahren Standard bei der Gicht­therapie. Das Risiko für Anfälle wird dadurch immerhin halbiert.4

Unerwünschte Wirkungen

Bei 4 von 100 Patienten kommt es zu allergischen Hautreaktionen, dann muss die Einnahme gestoppt werden. Allopurinol kann selten die Nieren schädigen. Und zu Beginn der Behandlung bilden sich manchmal Nierensteine. Wer bereits eine schwere Nierenfunktionsstörung hat, sollte höchstens 100 mg Allopurinol pro Tag einnehmen. Auch wer harntreibende Medikamente (Diuretika) einnimmt, darf Allopurinol nicht hochdosiert einnehmen.

Die Wirkung des Blutverdünners Phenprocoumon (Marcumar®) kann beeinflusst – meist verstärkt – werden. Arzt oder Patient sollten deshalb häufiger den INR-Wert prüfen.

In den ersten Wochen bis Monaten einer harnsäuresenkenden Therapie (besonders von der 8. bis zur 12. Woche) kann es sogar verstärkt zu Gichtanfällen kommen. Das sollte aber niemanden entmutigen, es geht bald vorüber.

Alternativen

Falls Allopurinol nicht eingesetzt werden darf oder nicht ausreichend wirkt, kann der Arzt oder die Ärztin anders wirkende Gichtmedikamente verordnen: Benzbromaron und Probenecid fördern die Ausscheidung von Harnsäure über die Nieren.1

Neuerdings wird bei Ärzten ein Medikament angepriesen, das ebenfalls die Harnsäure senkt. Der Hersteller Berlin-Chemie Menarini wirbt in großformatigen Anzeigen für Febuxostat (Adenuric®). Da wird es erfahrene GPSP-Leser nicht wundern, dass das neuere Präparat sechsmal so viel kostet wie Allopurinol. Obwohl nur 7 % der Patienten Febuxostat verordnet bekommen, verursacht das Mittel bei den Krankenkassen bereits 27 % der Behandlungskosten von Gicht. Tendenz rasch steigend.

Angeblich soll das neuere Produkt besser wirken. Febuxostat senkt den Harnsäurespiegel tatsächlich etwas stärker als Allopurinol. Aber es ist nicht ganz klar, ob das Patienten auch nützt:

Der erste Haken ist, dass es keinen sicheren Zusammenhang zwischen der Höhe des Harnsäurespiegels und dem Auftreten von Gichtanfällen gibt. In zwei Studien,5,6 die für die Zulassung des Medikaments relevant waren, wurde die Wirksamkeit von Febuxostat mit dem bewährten Allopurinol verglichen. Dabei kam es in der Tat unter dem neuen Mittel trotz niedrigerer Harnsäurewerte nicht zu weniger, sondern zu mehr Anfällen.7,8 Dieser Effekt ist zu Anfang der Behandlung deutlich, in der Langzeitbehandlung verliert er sich eher.

Der zweite Haken: In beiden Studien wurde Febuxostat mit einer relativ niedrigen Dosis von Allopurinol verglichen. Also ist selbst die stärkere Absenkung der Harnsäure durch Febuxostat nicht gesichert.

Nach der Zulassung 2010 wurden zwar Folgestudien durchgeführt, aber die sind meist von schlechter wissenschaftlicher Aussagekraft. Unabhängige Auswertungen zeigen, dass Febuxostat Gichtanfälle nicht besser verhindert als Allopurinol.8,9

Fazit

Allopurinol ist seit fünf Jahrzehnten bei Gicht bewährt und ein weiteres Paradebeispiel für eine gute alte Pille. Kein neueres Medikament hat es überflügelt. Es ist der therapeutische Standard.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2016 / S.10