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©J. Schaaber

Geschäft mit der Furcht

Frühdiagnose auf Alzheimer-Demenz

In Medienberichten wird die Furcht vor Alzheimer-Demenz kräftig geschürt und fälschlicherweise sogar zur Epidemie erklärt. Was liegt da näher, als eine „Früherkennung“ mit modernen diagnostischen Verfahren zu propagieren? Aber ist eine Voraussage eines individuellen Alzheimer-Risikos überhaupt möglich? Und vor allem: Kann man dann einer Alzheimer-Demenz vorbeugen?

Gerade bei den über 60-Jährigen, wird die Furcht geschürt, im Alter dement zu werden. Immer mehr möchten wissen, ob ihr Risiko erhöht ist und wollen gegebenenfalls etwas dagegen tun. Tests, Gehirnscans und Therapie-Ideen schießen wie Pilze aus dem Boden.1

Profitable Biomarker

Auch das Unternehmen jung diagnostics aus Hamburg wirbt für sein Testverfahren „ARDX“, das angeblich minimale Schrumpfungen der Gehirnmasse erfasst.3 Es soll das Risiko für Alzheimer-Demenz schon erkennen können, bevor die Krankheit spürbar wird. Eine zehnminütige Kopfaufnahme mittels „strahlungsfreier Kernspintomographie“ (MRT) sowie kognitive Kurztests würden bequem für Zukunftssicherheit sorgen.4 Bei einem unauffälligen Testergebnis könne laut jung diagnostics für „die nächsten drei bis fünf Jahre“ eine Erkrankung ausgeschlossen werden. Studien hätten darüber hinaus gezeigt, dass die zugelassenen Medikamente besonders bei Patienten im Frühstadium eine verlangsamende Wirkung haben.

All das ist aber nicht bewiesen. Die Fachzeitschrift British Medical Journal5 kommt zu dem Schluss: Es gibt weder Belege, dass die Früherkennung nützlich ist, noch existiert eine sinnvolle medizinische Behandlung zur Vorbeugung. Darum können die Biomarker-Untersuchungen bei uns nur als selbst zu zahlende IGeL-Leistung vermarktet werden.

Kein Zufall

Es gibt Fachleute wie den Psychiatrieprofessor Harald Hampel, die bei der Alzheimer-Erkrankung auf Früherkennung und -behandlung setzen. Doch seine zahlreichen positiven Stellungnahmen zur Frühdiagnostik mittels Biomarkern sowie für bestimmte Medikamente sind offenbar auch von privaten wirtschaftlichen Interessen geleitet. Hampel arbeitet mit der Firma, die ARDX entwickelt, eng zusammen,6 hält mehrere Patente an Verfahren zur Frühdiagnostik und bekam jahrelang Beraterhonorare von jenen Pharmaunternehmen, die die viel beworbenen Alzheimer-Medikamente produzieren.7

Altern ist keine Krankheit

Obwohl die aktuellen Leitlinien hierzulande keine Alzheimer Risiko-Tests und Reihenuntersuchungen befürworten, werden diverse Biomarker, die ein Risiko anzeigen sollen, weltweit vermarktet. Außerdem wurden die Kriterien für Alzheimer-Demenz in den USA in den letzten 15 Jahren so ausgeweitet, dass immer mehr Personen als erkrankt definiert wurden. Die einflussreiche US-amerikanische Krankheitsklassifikation „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM) erklärt z.B. leichte Gedächtnisprobleme bei älteren Menschen zur Krankheit. Begleiterscheinungen des Alterns werden zur „neurokognitiven Störung“ deklariert. Damit würden 16 Prozent der Gesamtbevölkerung, also jede/r Sechste, diesbezüglich als behandlungsbedürftig angesehen.5

Diagnostisches Absurdistan

Aber wie soll ein Leiden vorhersehbar sein, das selbst bei schon leicht erkrankten Menschen nicht sicher erkannt werden kann? Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) bleiben sehr vage in puncto Ursachen und Frühdiagnose der Alzheimer-Demenz. Klinische Untersuchungen durch einen Arzt könnten nur wahrscheinliche Diagnosen bei Erkrankten liefern.8 Die Abgrenzung gegenüber anderen Formen der Demenz ist wenig scharf – zum Beispiel gegenüber Demenz in Folge von leichten Schlaganfällen, Blutungen oder Thrombosen (vaskuläre Demenz) oder im Rahmen von Parkinson. Das Resümee in den Leitlinien: Klare biologische Kriterien für die Diagnose gibt es nicht.

Bescheid weiß man (vielleicht) erst hinterher

Obduktionen der Großhirnrinde und weiterer Gehirnareale sind nach wie vor die zuverlässigste Methode, um verdächtige Eiweiß- Ablagerungen und die als krankheitstypisch angesehenen Nerven- zellveränderungen nachzuweisen. Aber nicht einmal das ist sicher. Ein Drittel der alternden Menschen soll stark verändertes Hirngewebe aufweisen – aber dabei geistig gesund gewesen sein. Umgekehrt hatten Personen mit schwersten Symptomen gesund aussehende Gehirne. Die Anhänger einer Frühdiagnostik behaupten, dass leichte Denk- und Orientierungsprobleme sichere Vorboten sind. Doch Studien zeigen, dass nur 5 bis 10 Prozent der Betagten mit leichten Auffälligkeiten tatsächlich eine Alzheimer-Demenz entwickeln. Selbst nach Jahren blieben die meisten Studienteilnehmer symptomfrei. Bei manchen verbesserte sich das Denkvermögen sogar im Laufe der Jahre. Das zeigt eine zusammenfassende Auswertung von 41 Studien.9

Fatale Folgen

Die ausufernde Früherkennungsdiagnostik steigert die Angst vor Alzheimer-Demenz und erzeugt politischen Druck, Forschungsmittel in eine einseitige Richtung zu lenken, zugunsten von Laborunternehmen und Pharmaindustrie. Der Wert der Tests für die Vorhersage ist wissenschaftlich unbewiesen. Über- und Fehldiagnostik werden zunehmen. Normale Begleiterscheinungen des Alterns, etwa wenn man ein Wort nicht gleich parat hat oder eine Überlegung länger braucht, werden zunehmend als krankhaft definiert.

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– Gute Pillen – Schlechte Pillen 03/2014 / S.12