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©Jürgen Fälchle/Fotolia

Beratung und Therapie im Internet

Online-Hilfe für die Psyche?

In den Niederlanden oder in Großbritannien werden sie bereits von den Krankenkassen bezahlt: Online-Therapien und Therapien per Telefon bei psychischen Erkrankungen wie Depression und Essstörungen. In Deutschland ist jede Form von Ferntherapie standesrechtlich verboten, Beratung aber nicht. Auch hierzulande gibt es Online-Angebote, die sich an Menschen mit psychischen Problemen richten.

Sie versprechen „Wege aus der Depression“1 oder „Schnelle, diskrete Hilfe bei Depressionen“2 – für einen Monatsbeitrag ab 59 Euro bieten Onlineportale psychologische Hilfe an. Dass diese Hilfe keine Psychotherapie ersetzt, verrät oft nur das Kleingedruckte. Und welche Angebote überhaupt seriös sind, ist für Betroffene schwer auszumachen. Denn ein vertrauenswürdiges Qualitätssiegel für solche Angebote im Internet fehlt.

Dabei sind die Forschungsergebnisse zur Fernbehandlung von psychischen Krankheiten auf den ersten Blick durchaus interessant. Forscher der Universität Cambridge folgern aus einer Studie mit 40.000 Personen, dass leichte bis mittelschwere Depressionen und Angststörungen ebenso gut per Telefon behandelt werden können wie von Angesicht zu Angesicht.3

Auch für einige Online-Therapien gibt es Studien mit Hinweisen auf einen Nutzen. Der Haken dabei: Mitmachen dürfen bei solchen Studien nur jene Patienten, die weder Suizidgedanken haben, noch unter Wahn- oder Suchterkrankungen leiden. Tatsächlich sind diese Patienten selten, denn viele depressive Menschen denken irgendwann mal an Selbsttötung, und rund die Hälfte der Menschen mit Depression oder Angststörung hat mindestens eine weitere psychische Erkrankung.

Vor allem bei Suizidgefährdung (GPSP 2/2013, S. 10) kommen reine Online-Programme nicht in Frage. Hilfe versprechen hier nicht einmal die Anbieter. Schon aus Haftungsgründen sind sie bemüht, gefährdete Menschen durch Fragebögen oder Telefonate herauszufiltern und an Psychotherapeuten oder Ärzte zu verweisen.

Der persönliche Kontakt ist aber auch schon für eine zuverlässige Diagnose wichtig: Es sind oft Details, die aus dem Gesagten ein vollständiges Bild entstehen lassen: Wie guckt einer, wenn er von sich erzählt, und wie hört sich seine Stimme dabei an?

Beratung erlaubt

Im Gegensatz zur Therapie ist bei uns eine psychologische Beratung per Internet erlaubt, denn sie richtet sich an weitgehend gesunde Menschen. Dazu gehören etwa die Angebote von verschiedenen Studentenwerken, die Studierenden per Chat oder E-Mail Tipps geben, wenn sie sich dem Leistungsdruck nicht gewachsen fühlen oder immer wieder das Schreiben ihrer Hausarbeit aufschieben.

Ein Vorteil der psychologischen Online-Beratung ist, dass es vielen Menschen leichter fällt, anonym im Netz über ihre Probleme zu sprechen als vor einem echten Menschen. Außerdem kann Online-Beratung mit relativ einfachen Mitteln viele Personen erreichen. Dass sie dadurch auch vorbeugend nützlich ist, also in Präventionsprogrammen, davon geht der Psychologe Markus Wolf aus, der an der Universität Heidelberg zur psychologischen Onlineversorgung forscht.

An seinem Institut ist die Internetplattform Pro Youth4 entstanden. Sie richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene, die sich besonders viele Gedanken über ihre Figur und richtiges Essen machen und damit ein erhöhtes Risiko für eine Essstörung haben (GPSP 4/2012, S.9). Wer sich anmeldet, kann einmal in der Woche einen Fragebogen ausfüllen und darin sein Essverhalten dokumentieren. Anschließend gibt es eine automatische Auswertung: Wer beispielsweise über Wochen eine Diät macht, ohne starkes Übergewicht zu haben, dem meldet das Programm zurück, dass dies der Beginn einer Essstörung sein kann – und empfiehlt eine Beratungsstelle aufzusuchen. Die Plattform bietet außerdem Informationen zu Essstörungen. Und in Einzel- und Gruppen-Chats, die von Psychologen begleitet werden, können sich die Teilnehmer austauschen. Einige von ihnen haben bereits stationäre Therapien hinter sich, viele warten auf einen Therapieplatz. Für sie kann das Beratungsangebot eine Stütze sein.

Online-Kontakt zur Überbrückung?

Bis psychisch Kranke einen Therapieplatz finden, dauert es in Deutschland im Schnitt drei Monate. In manchen Regionen sogar deutlich länger. Online könnten Betroffene schneller versorgt werden – und kostengünstiger. Wohl auch deshalb haben Krankenkassen mittlerweile Pilotstudien angestoßen.

Die AOK Rheinland testet das Internetprogramm net-step,5 bei dem die Patientin oder der Patient mit Depression am PC Übungen macht oder Aufgaben bearbeitet und einmal in der Woche eine Rückmeldung per E-Mail vom Therapeuten bekommt. Nur anfangs, zur Diagnose, muss man persönlich bei seiner Therapeutin oder seinem Therapeuten vorbeikommen.

Als eine Art Selbsthilfeprogramm bei leichter bis mittelschwerer Depression versteht sich das Online-Angebot der Firma Novego AG (siehe Erfahrungsbericht). Das Programm, das auf drei Monate ausgelegt ist, kostet 59 € im Monat, wenn man ohne Telefongespräch mit einem Therapeuten auskommen kann. Drei monatliche Telefonate erhöhen die Kosten auf 119 €.

Ein anderes Online-Angebot ist Deprexis®,6 das der Pharmahersteller Merz betreibt. Es verzichtet ganz auf persönlichen Kontakt. 280 € kostet ein dreimonatiger Zugang. Wer an Depressionen leidet, kann an automatisierten Übungen teilnehmen. Für die Diagnose ist vorab ein Online-Fragebogen auszufüllen. Die DAK prüft aktuell, ob das Programm als Überbrückung taugt, bis ein Psychotherapieplatz gefunden ist.

GPSP hält es für verfrüht, dass die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung ihren Mitgliedern bereits im vergangenen Dezember empfohlen hat, Deprexis® als Bestandteil der Therapie auszuprobieren. Eine solche unkontrollierte Ausprobiererei – zudem wohl auf Kosten der Betroffenen – erachtet GPSP für ungeeignet, zuverlässige Erkenntnisse zum Nutzen des Verfahrens zu erhalten.

Mit persönlichem Kontakt

Lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind auch ein Grund, warum an der Universität Heidelberg das Online-Programm Summit8 entwickelt wurde. Es soll Menschen helfen, die zum Beispiel nach einer Depression aus der Klinik entlassen werden. Denn gerade in den ersten Monaten danach ist ihr Risiko für Rückfälle erhöht. Wer bei Summit mitmacht, kann regelmäßig mit Psychologen der Uni chatten und soll einmal in der Woche einen Fragebogen ausfüllen. Das Programm gibt automatisch Rückmeldungen und empfiehlt etwa, seinen persönlichen Krisenplan aufzurufen. Sollte es dem Betroffenen (weiterhin) schlecht gehen, wird er aufgefordert, Kontakt zu seinem Arzt oder seiner Ärztin oder zu Therapeuten in der Klink aufzunehmen.

Kaum kontrolliert

Online-Therapien gelten als Medizinprodukte, zu denen Fieberthermometer genauso gehören wie Brustimplantate. Im Gegensatz zu Arzneimitteln werden sie nicht von einer Behörde auf Nutzen und Risiken für die Patienten geprüft, bevor ihr Verkauf erlaubt wird (siehe GPSP 6/2012, S. 17).

Medizinprodukte werden in Klassen eingeteilt. Online-Beratung und -Therapien zählen zur niedrigsten Risikoklasse 1, die der Anbieter lediglich beim DIMDI+óÔéĽÔÇŞ+óÔéĽÔÇŞ9 anmelden muss. Es handelt sich um ein so genanntes Anzeigeverfahren.

Für die Beantragung der CE-Kennzeichnung+óÔéĽÔÇŞ10 sind die Anbieter selbst zuständig. Eine wirksame Kontrolle fehlt. Erst wenn beim Anwender Schäden aufgetreten und diese auch gemeldet worden sind, können Kontrollorgane wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aktiv werden.

Offene Fragen

Online-Therapie könnte prinzipiell sinnvoll sein – zur Nachbehandlung, in Überbrückungsphasen oder wohl auch als Bestandteil der persönlichen Therapie für Menschen, die viel beruflich unterwegs sind.

Es fehlen aber gute Studien, die den Nutzen und den Schaden bewerten. Zudem sollte genauer untersucht werden, bei welchen Patientengruppen Online-Angebote gut wirken. Auch die Haftungsfrage müsste geklärt sein: Wer steht dafür gerade, wenn bei einer Fernbehandlung etwas gründlich schiefgeht? Unabdingbar erscheint aber, dass vor einer therapeutischen Intervention aus der Ferne eine persönliche Diagnostik durch Spezialisten vor Ort stattfinden muss.

Ein Erfahrungsbericht: Was bietet das Onlineangebot von Novego?

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Wir haben das Angebot von Novego* ausprobiert. Es wird als Unterstützungsprogramm bei leichten bis mittleren Depressionen bezeichnet. Eine Diagnose erfolgt nicht. Positiv fiel uns auf: Wer Selbsttötungsgedanken angibt, wird an einen Arzt verwiesen und kann sich – zumindest mit der bereits angegebenen E-Mail-Adresse – nicht erneut für das Programm anmelden.

Das Programm ist auf 12 Wochen ausgelegt, in denen jeweils ein Thema – z.B. Depression verstehen, negative Gedanken erkennen und durchbrechen, Ressourcen nutzen – bearbeitet wird. Es wird über die Krankheit Depression aufgeklärt, außerdem gibt es verschiedene Übungen, etwa zur Autosuggestion, und Hörangebote zur Progressiven Muskelentspannung sowie Achtsamkeitsübungen.

Teilnehmer erhalten viele schriftliche Informationen zu ihrer Krankheit und Aufgabenblätter. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass Menschen, die wegen einer Depression wenig Antrieb haben, diese bearbeiten – zumal sie nicht eingereicht werden müssen. Das Unterstützungsprogramm behauptet, individuell abgestimmt zu sein. Was damit gemeint ist, erschließt sich nicht. Zum Beispiel gibt es eine Art Musiktherapie, in der schlichte Pseudoklassik zu hören ist, von der behauptet wird, dass sie „eigens für Sie komponiert wurde“.

Bei der Anmeldung zum Novego-Unterstützerprogramm machte uns misstrauisch, dass nicht nur die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) akzeptiert werden müssen. Mit demselben Häkchen akzeptieren Teilnehmer, dass sämtliche Informationen, die man bei der Anmeldung und der Nutzung des Programms von sich preis gibt, von Novego genutzt werden dürfen. Das sind so sensible Daten wie Angaben zum Gesundheitszustand, zum Verhalten oder zur Motivation.

Tipp: Wenn Sie sich für ein Online-Therapieprogramm entscheiden, achten Sie darauf, dass persönliche Daten von dem Anbieter nur im Rahmen der Therapie genutzt und nicht weitergegeben werden.

PDF-Download

– Gute Pillen – Schlechte Pillen 05/2013 / S.04